Aktienauswählen schwer gemacht

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Wegen lascher Regeln werden Unternehmensberichte immer undurchsichtiger. In den vergangenen Jahren ist es immer schwieriger geworden, verlässliche Informationen zu finden. Woran sich Anleger orientieren können.

Wien. Noch sind die Börsen für Anleger ein ungemütliches Terrain. Die täglichen Kursschwankungen sind nach wie vor extrem, und was die nächsten Quartale bringen, ist ungewiss. Und doch warten einige Investoren auf ein Signal zum Einstieg. Denn viele Aktien sind derzeit billig wie selten – gemessen am KGV. Das ist jene Kennzahl, die Aufschluss über das Verhältnis vom Unternehmensgewinn zum Aktienkurs gibt. Bei der Erste Group beträgt es im Moment etwa sieben. Der von Analysten erwartete Gewinn je Aktie ist also siebenmal im Kurs enthalten.

Im Jahr 2010 war das KGV der Bank im Schnitt noch doppelt so hoch. Doch macht das die Aktien wirklich zum Schnäppchen? Ein niedriges KGV kann auch darauf hindeuten, dass die Anleger den Gewinnprognosen nicht trauen und deshalb schon eine Revision nach unten „einpreisen“. „Man sollte unbedingt darauf achten, in welcher Phase des Konjunkturzyklus man sich befindet“, sagt Thomas Neuhold, Chefanalyst für österreichische Aktien bei der UniCredit. Denn viele Unternehmen würden ihre Gewinne einfach in die Zukunft fortschreiben, was die Aktien „billig“ erscheinen ließen.

Neuhold rät Anlegern daher, Gewinne immer im historischen Vergleich zu sehen: „Man sollte ungefähr die letzten fünf Jahre vergleichen oder sich zwei bis drei Konjunkturzyklen anschauen.“ Der langfristige Kontext sei ohnehin ein gutes Mittel, um Aktien für sich zu analysieren.

Substanz ins Depot

Eine zweite, bei substanzorientierten Anlegern beliebte Kennzahl ist das KBV, das Kurs-Buchwert-Verhältnis. Hierbei wird der Aktienkurs in Relation zum anteiligen Buchwert der Papiere gesetzt. Grob gesagt entspricht der Buchwert eines Unternehmens dem Wert seiner Vermögensgegenstände minus aller Verbindlichkeiten und immateriellen Werte.

Hat ein Unternehmen also laut Bilanz einen Buchwert von sechs Mrd. Euro, und es sind 300 Mio. Aktien im Umlauf, ergibt das einen Buchwert von 20 Euro je Aktie. Notiert das Papier an der Börse bei 80 Euro, ergibt das ein KBV von 4,0. Läge der Kurs bei zehn Euro, wäre das KBV mit 0,5 niedrig und die Aktie günstig. Ist der Aktienkurs kleiner als eins, wird das Unternehmen unter seinem Buchwert gehandelt.

Natürlich ist auch ein niedriges KBV kein Garant für einen Kursanstieg. Anlegern, die solide Unternehmen von Wackelkandidaten unterscheiden möchten, bleibt ein Blick in die Bilanzen somit nicht erspart. In den vergangenen Jahren sei es aber immer schwieriger geworden, darin verlässliche Informationen zu finden, kritisiert Anlegerschützer Wilhelm Rasinger.

„Bilanzpolizei“ lässt auf sich warten

Sein Zorn richtet sich speziell gegen die internationalen Bilanzregeln, IFRS genannt. Für die Anleger sei das Regelwerk mehr als verwirrend. Dass die Regeln viel Spielraum bieten, zeigt ein aktuelles Beispiel: Die Schweizer Großbank UBS weist für das dritte Quartal trotz eines immensen Handelsverlusts einen kleinen Gewinn aus. Möglich wird das dadurch, dass die Schulden der Bank, etwa in Form von Anleihen, auf dem Markt an Wert verloren haben. In der Bilanz kommt dies dem Institut zugute.

Auch bei der A-Tec seien die Regeln „extrem ausgereizt“ worden, sagt Rasinger. Der Präsident des Interessenverbands für Anleger (IVA) fordert die Regierung daher auf, endlich eine „Bilanzpolizei“ zu schaffen. Gemeint ist eine Institution, die regelmäßig die Bilanzen der börsenotierten Unternehmen überprüft. Österreich ist das einzige EU-Land ohne eine solche Institution, was Rasinger für „peinlich“ hält. Möglicherweise wären dadurch manche Affären (wie Immofinanz) viel früher entdeckt worden. Auch bei A-Tec hätte eine Bilanzpolizei vermutlich „dämpfend“ gewirkt, so Rasinger. ÖVP und SPÖ streiten seit drei Jahren darüber, wie eine solche Einrichtung auszusehen hat. Eine Einigung ist nicht in Sicht.

Anlegern rät Rasinger, das KGV und das KBV als „ungefähre Orientierung“ zu nutzen. Mit der Dividendenrendite, einer anderen beliebten Kennzahl, sei dagegen vorsichtiger umzugehen. Sie setzt die Gewinnausschüttung je Aktie in Bezug zu ihrem Börsenkurs. Das Problem ist, dass künftige Dividendenzahlungen nicht immer sicher vorherzusagen sind und auch Analysten danebenliegen können. Zudem ist oft unklar, ob sich die Dividendenrendite auf künftige oder die jüngsten Dividendenzahlungen bezieht.

Bei der Bewertung der Gewinne bevorzugen Neuhold und Rasinger beide den „Cashflow“, da dieser am schwierigsten zu manipulieren ist. Bei Industrieunternehmen sei neben der Eigenkapitalquote auch der Nettoverschuldungsgrad sehr wichtig, sagt Neuhold. „Je zyklischer die Entwicklung des Cashflows, desto niedriger sollte die Verschuldung sein.“

Im derzeitigen Umfeld sollte man sich vorsichtig verhalten, „auch wenn die Aktien attraktiv ausschauen“, meint Neuhold. Wer sich in der nächsten Zeit für Aktien entscheidet, solle am ehesten auf Titel aus gut prognostizierbaren Branchen setzen, wie die Österreichische Post. Rasinger mahnt auch, bei aller Analyse der Zahlen seinen „Hausverstand“ nicht zu vergessen.

Was Sie beachten sollten bei... der Auswahl der Aktien

Tipp 1

KGV und KBV. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis und das Kurs-Buchwert-Verhältnis sind beliebte Größen bei der Bewertung von Aktien. Beide sind jedoch mit Vorsicht zu genießen und eher als grobe Orientierung zu sehen. Wer weiß, wie die Kennzahlen zustande kommen, kann sie beim „Stockpicking“ besser einsetzen.

Tipp 2

Bilanzen lesen. In den Quartalsberichten der Unternehmen sollte man sich auf einige Werte konzentrieren. Die aussagekräftigste Gewinngröße ist der Cashflow. Auch das Eigenkapital und der Verschuldungsgrad sind wichtig. Vorsicht gilt bei einem großen Anteil immaterieller Werte und bei zukünftigen Projekten.

Tipp 3

Mit Einstieg warten. Noch sollte man mit einem Einstieg in den Aktienmarkt warten. Was die Schuldenkrise bringt, ist ungewiss. Für die Zeit danach raten Experten zu Titeln aus leicht vorhersagbaren Branchen, die zudem nur wenig verschuldet sind. In Österreich ist die Post so ein Kandidat, international gibt es einige weitere.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2011)

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