Bulgarien: Großbaustelle ohne Bauarbeiter

(c) Die Presse (Jutta Sommerbauer)
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Die Regierung hat es plötzlich sehr eilig, Ausländer für die Arbeit an Infrastruktur-Projekten anzuwerben. Es mangelt auch an Facharbeitern – vor allem an technischem Personal.

Wien/Sofia. „Personal für Arbeit im Ausland dringend gesucht!“ Seit Jahren sind Anzeigen mit Aufschriften wie dieser für die Bulgaren ein vertrauter Anblick: Vermittlungsagenturen suchen billige Arbeitskräfte für den Einsatz im Ausland – bevorzugt in Großbritannien, Spanien oder Italien. Meist sind es wenig qualifizierte Tätigkeiten im Baugewerbe, in der Gastronomie oder Landwirtschaft.

Nun könnte sich der Spieß umdrehen, und Bulgarien selbst Personal aus dem (ärmeren) Ausland importieren. Als Scherz, der keinen Bulgaren so richtig amüsiert hätte, wäre dieser Plan noch bis vor kurzem abgetan worden: Schließlich war man selbst arm genug und die Idee eines Gastarbeiters, der im Balkanland Geld verdienen wollte, absurd.

Arbeitskräfte dringend gesucht

Doch Emilia Maslarova scherzt nicht. Die sozialistische Ministerin für Soziales will Ausländer nach Bulgarien holen: aus Serbien, Mazedonien, Moldawien, der Ukraine, Türkei – ja sogar aus Ägypten, China und Vietnam. Es mangelt nämlich an Personal. Personal, das dringend für große Infrastruktur-Projekte gebraucht wird, deren Baubeginn in naher Zukunft ansteht: Das neue Atomkraftwerk im Donauort Belene, sowie drei Öl- und Gas-Pipelines, die das Land kreuzen. Es gehe um „mehrere Tausend Arbeitskräfte, hauptsächlich im Bauwesen, Energiesektor und Tourismus“, sagte Maslarova unlängst in einem Interview.

Mit April soll eine „Green Card“ eingeführt werden. Diese unbürokratische Arbeitsgenehmigung war bislang allerdings nur für „Auslandsbulgaren“, Menschen bulgarischer Abstammung, die als zahlenmäßig kleine Minderheiten in den Nachbarländern sowie in Moldawien und der Ukraine leben, im Gespräch. Fest steht, dass das Papier einzig für den bulgarischen Arbeitsmarkt gelten soll, um ein Weiterziehen der Gastarbeiter in den Westen zu verhindern.

Bulgarien erlebt nun jene Entwicklung, die auch andere osteuropäische Länder nach ihrem EU-Beitritt eingeholt hat. Der Engpass an Arbeitskräften betrifft nicht nur wenig qualifiziertes Personal. Es mangelt auch an Facharbeitern – vor allem an technischem Personal. Die Tourismusbranche beschwerte sich bereits lautstark; sie will deshalb Arbeitskräfte aus Russland und Moldawien für die diesjährige Sommersaison am Schwarzen Meer importieren.

Grund für den Arbeitskräftemangel ist vor allem die Emigration: Seit der Wende 1989 haben rund eine Million Bulgaren das Land verlassen. Zuletzt setzten das Wirtschaftswachstum und die relativ niedrige Arbeitslosenrate – 7,8 Prozent im Jahr 2007 – die Human-Ressource-Manager unter Druck.

Auch ausländische Investoren, die meist überdurchschnittlich hohe Gehälter bezahlen, klagen über zu wenig Personal. Wie etwa der Hausgeräte-Hersteller Liebherr, der am Rande der zweitgrößten Stadt Plovdiv ein Werk betreibt. „Eine der größten Schwierigkeiten ist die Fluktuation“, sagt Gerhard Gruber, Koordinator der bulgarischen Gesellschaft. Ausbildung und Bindung der Fachkräfte des Unternehmens sei deshalb besonders wichtig. Zusätzliche Sozialleistungen und betriebsinterne Weiterbildung sollen – neben angemessenen Löhnen – die Fachkräfte halten. Mittlerweile kann ein Top-Ingenieur bis zu 6500 Euro im Monat verdienen, heißt es bei der Internet-Jobagentur JobTiger. Die Gehaltsschere hat sich weit geöffnet. Fast unverändert sind freilich die Gehälter von Verkäuferinnen oder Lehrerinnen: Sie liegen bei etwa 120 Euro.

Ein kurzfristiger Lückenfüller?

Maslarovas Initiative findet unterdessen nicht überall Anklang. Manche Experten bezeichnen den Vorstoß als kurzfristigen Lückenfüller. Umstritten ist, ob das heimische Arbeitskräftepotenzial tatsächlich ausgeschöpft ist, wie die Ministerin behauptet. Denn die Mobilität der inländischen Arbeitnehmer ist gering. Außerdem gibt es ein großes ungenutztes Arbeitskräfte-Pool: Etwa 1,7 Millionen Menschen zwischen 15 bis 64 Jahren finden jenseits des offiziellen Arbeitsmarktes – und seiner Statistiken – ihr Auskommen. Ihr Einkommen beziehen sie in einem Graubereich, der von Schwarzarbeit über Auslandsüberweisungen bis hin zu Einkünften aus Immobilien-Vermietungen reicht.

Diese Schieflage des bulgarischen Arbeitsmarktes ins Gleichgewicht zu bringen, dürfte jedenfalls die ungleich schwierigere Aufgabe für die Ministerin sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2008)

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