Bulgarien: Das Versprechen Zukunft

(c) Reuters (Mihai Barbu)
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In der Donau-Gemeinde Belene wurde 1981 mit dem Bau eines Atomkraftwerks begonnen. Nun soll das Projekt erneut in Gang kommen. Im Ort hofft man auf Arbeitsplätze.

Belene.Die Zukunft von Belene beginnt drei Kilometer vor dem Ortsschild. Sie ist eine mit Draht abgezäunte Großbaustelle mit fünf Baukränen in Gelb, die zwischen flachen Feldern und der Aulandschaft hervorragen. Inmitten der Kräne eine Bauruine aus Beton: Hier soll der Block 1 des künftigen Atomkraftwerks Belene entstehen.

Die Idee von Belene ist so alt wie die Mittdreißiger des Ortes. Wie etwa Gemeindesekretär Momtschil Spassov. „Wir haben die ganze Zeit mit Ungeduld auf das Projekt gewartet“, sagt der 33-Jährige. Von seinem Büro, getäfelt mit dunklem Holz, fällt der Blick auf das Zentrum des 9000-Einwohner-Ortes: Fußgängerzone, Administrationsgebäude im sozialistischen Design, quadratisch-adrette Beete, in denen die ersten Blumen sprießen. Die Gemeinde wird ihren zweiten Frühling erleben, ist Spassov gewiss. „Belene wird ein Energie-Zentrum.“

Bereits in den 70ern begann man, Orte für ein Atomkraftwerk zu sondieren. Die Wahl fiel auf Belene, drei Stunden von Sofia entfernt, am südlichen Donauufer an der Grenze zu Rumänien. 1981 wurde mit dem Bau eines Atomkraftwerkes begonnen, 1990 wurde der Bau wegen Geldmangels eingestellt. 2002 holte die Regierung Sakskoburggotski die AKW-Pläne aus der Schublade. Nachdem klar war, dass als Tauschhandel für den EU-Beitritt zwei Reaktoren des bestehenden AKW Kozlodui abgeschaltet werden müssen, wurde Belene zunächst für die gekränkten bulgarischen AKW-Lobbyisten, später für einen Großteil der Bevölkerung zu einer nationalen Fixidee. Seit Jänner 2008 ist es amtlich, besiegelt mit dem Handschlag zwischen den Präsidenten Wladimir Putin und Georgi Parvanov: Atomstroyexport, eine Tochter des russischen Staatsunternehmens Gazprom, wird das Kraftwerk errichten. Erneuter Baubeginn: Ende 2008, Anfang 2009.

Aufbruchstimmung in Belene

In Belene trifft man auf einen in Bulgarien höchst seltenen Menschenschlag: die Optimisten. Sie möchten Belenes angeschlagenes Image zurechtrücken: wegen des früheren Straflagers der Kommunisten, wegen der im Sommer grassierenden Mücken, wegen der Randlage des Ortes. Seit über einem Vierteljahrhundert warten sie auf den großen Augenblick. Jetzt ist er da, und plötzlich muss alles sehr schnell gehen. „Wir sind spät dran“, gibt Gemeindesekretär Spassov zu. Der Ort braucht eine Kanalisation, neue Häuser, neue Straßen. Einen seitenlangen Aktionsplan hat die Gemeinde erstellt, auch an europäischen Programmen möchte man teilnehmen, Consultants sollen dabei helfen. Zwischen 2010 und 2012 sollen 5000 Bauarbeiter im Ort leben. 5000 Arbeiter, mehr als halb so viel wie die derzeitige Bevölkerung, die Wohnraum benötigen. Etwa in den verfallenen Plattenbauten, Betonskelette an der Ortsausfahrt, die für die damaligen Arbeiter gebaut und nie bezogen worden waren? Vielleicht, man überlegt noch. Auch nach dem Abzug der Arbeiter, wenn die „Spezialisten“ das Kraftwerk betreiben (geplante Eröffnung 2014/2015), soll der Ort profitieren: Handel und Tourismus sollen sich entwickeln, einen Business-Park will man an Land ziehen.

In Spassovs Sitzungszimmer hängt neben dem Bild des bulgarischen Nationalhelden Vasil Levski ein Wandkalender: Bulgariens Präsident Georgi Parvanov beim Handshake mit Wladimir Putin. Befürchtungen wegen des wachsenden russischen Einflusses im heimischen Energiesektor hat man in der Gemeinde nicht. Dass sich Atomstroyexport den Auftrag gesichert hat, regt nicht weiter auf. Immerhin habe ja auch die Europäische Kommission dem Projekt ihren Sanktus gegeben – auch wenn man nicht weiß, ob es sich je rentieren wird.

In der Industriezone liegt das „Gymnasium für Atomenergie – Marie Curie“. „Hier war mal viel los“, beschreibt die Lehrerin Alena Drazhanska die Stimmung während der 80er Jahre. Auch sie sollte im AKW als Ingenieurin arbeiten. Als das Projekt eingefroren wurde, ließ sich Drazhanska zur Lehrerin weiterbilden und fand Arbeit in der Schule. Das Gymnasium, gebaut, um heimische Fachkräfte für das Kraftwerk auszubilden, ist ein Überbleibsel der verpatzten Geschichte, eines der vielen Symbole für den nicht verwirklichten sozialistischen Plan. Die Schüler aus der Abschlussklasse scheint die Karriere-Chance AKW nicht sonderlich zu beeindrucken, der Arbeitsplatz Kraftwerk klänge verheißungsvoller, befände er sich in einer großen Stadt. „Ist doch wie ein Dorf hier“, meint der 19-jährige Valentin Hristov. Wie gern würde er ins Ausland gehen. Kommen künftig mehr Leute nach Belene, werde es vielleicht ein bisschen besser. „Wir haben keine Wahl“, sagt Drazhanska wehmütig zum Abschied.

Keine Angst vor dem AKW

In Belene glaubt man an die Atomkraft, weil man über all die Jahre an sie geglaubt hat. Selbst die Umweltschützer aus dem Naturpark „Persina“ sind dafür. „Eine Chance für den Tourismus“ nennt es seine Sprecherin Daniela Karakascheva. Bird-Watching neben dem AKW – kein Widerspruch? Doch, aber ein „interessanter“. Protest, das sagen alle in Belene, komme nur von außerhalb. Von Aktivisten aus Sofia, Neidern aus der benachbarten Stadt Swischtow, aus Rumänien, einem Land, das sich doch selbst in den nächsten Jahren atomar aufrüsten will. In Belene blickt man vertrauensvoll in die Zukunft. Vielleicht, „weil dann hier endlich etwas passiert“, sagt Karakascheva. Und sei es auch, dass ein Atomkraftwerk gebaut wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2008)

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