Rumänien: Lohnkosten steigen stark

(c) Martin Fejer
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Der 21-Millionen-Einwohner-Markt lockt Investoren an. Als Billiglohnland hat Rumänien aber ausgedient. Unternehmen sehen sich lieber in der Ukraine um.

Timisoara. Im Minutentakt flimmern die von Hand ausgefüllten Überweisungsauszüge der Kunden einer Bank aus Süddeutschland über die Bildschirme der Software-Firma Syonic im rumänischen Timisoara (Temesvar). Wieselflink erfassen die Mitarbeiterinnen selbst unleserliche Handschriften – und senden die aus Datenschutzgründen codierten Auszüge an den Absender zurück. Die Dienstleistungen von Syonic liegen 35 bis 40 Prozent unter dem westeuropäischen Preisniveau, erklärt Geschäftsführer Michael Bullert. Immer mehr Banken, Immobilien-Makler und Krankenkassen aus Deutschland machen sich die Dienste der rumänischen Firma zur Datenverarbeitung zu Nutze.

Großer Nachholbedarf

Die Auftragsbücher des 2005 gegründeten mittelständischen IT-Unternehmens sind voll, der erste Großauftrag eines rumänischen Ministeriums winkt. Rumänische Kunden machen zehn Prozent des Umsatzes aus, erzählt Bullert. Doch in fünf Jahren dürfte die Kundschaft rein rumänisch sein. Als Werkbank von Westeuropa könnte Rumänien angesichts der sich schnell drehenden Kostenspirale bald ausgedient haben: „Doch es gibt enormen Nachholbedarf. Jeder drängt rein: Hier werden Milliarden Gewinne gemacht.“

Neben Bukarest gilt Timisoara wegen der guten Anbindung nach Westeuropa als wichtigstes Wirtschaftszentrum Rumäniens. Der große rumänische Absatzmarkt mit 21 Millionen Konsumenten und eine von den Banater Schwaben geprägte Arbeitsmentalität sind die Attribute, mit denen sich die Stadt beim Buhlen um Investoren zu positionieren versteht. Ob der Reifenhersteller Continental, die Autozulieferer Delphi und Kromberg oder Siemens– in den Industriegebieten der früheren Habsburger-Stadt drängt sich alles, was in Europas Wirtschaftskreisen einen Namen hat.

Zu sozialistischen Zeiten haben Nahrungsmittelverarbeitung, Textil- und Lederindustrie die Region geprägt, erzählt Menuta Iovescu, Generaldirektorin der Industrie- und Handelskammer. Seit den 90er Jahren werde die Wirtschaftsstruktur von Elektro- und Baumaschinen-Industrie, Automobil-Zulieferern und IT-Branche getragen.

Mit Wachstumsraten von sechs Prozent gilt Rumänien als eines der attraktivsten Investitions-Eldorados des Kontinents. Doch nicht nur der Mangel an Fachkräften macht den Betrieben zu schaffen. Im letzten Jahr kletterten die Lohnkosten um 21,6 Prozent, Energie- und Immobilienpreise verzeichneten drastische Zuwächse. In Polen und Ungarn sei die Entwicklung durch den besser vorbereiteten EU-Beitritt behutsamer verlaufen, sagt Syonic-Manager Bullert. Ob Lebenshaltungskosten, Mietpreise oder Gehälter – alles verteure sich in Rumänien „zu schnell“. Betriebe in der Aufbauphase würden in Probleme geraten: „Man denkt, man hat die Kosten unter Kontrolle. Dann wirft der Preisauftrieb alle Kalkulationen durcheinander.“

Ein guter Software-Entwickler verdient bei Syonic netto zwischen 1000 und 1500 Euro im Monat. Noch liegt das Durchschnittsgehalt in Rumänien bei 400 Euro. Arbeitsintensive Betriebe wie Textil-Firmen, deren Kalkulation auf geringen Lohnkosten basiert, beginnen ihre Produktion aber bereits in die Ukraine, Moldawien oder selbst nach Ägypten zu verlagern.

Es gebe immer noch Großfirmen, die ihre Mitarbeiter mit 200 bis 250 Euro im Monat abzuspeisen suchten, berichtet Bullert: „Aber die müssen sie mit Bussen aus 60 Kilometer Entfernung in die Fabrik karren: In Temesvar kann niemand mit solchen Gehältern über die Runden kommen.“

Serben angeworben

„Preisschübe sind für ein Land, dessen Löhne sich anpassen, normal“, versichert hingegen Iovescu. Investoren würden über Facharbeiter-Mangel klagen, aber ihre Kapazitäten trotzdem ausbauen: „So schlecht können die Bedingungen nicht sein.“ Die höheren Löhne würden langfristig für die Rückkehr der Emigranten und die Entlastung des Arbeitsmarkts sorgen. Kurzfristig setzt die Kammer auf Serbien als Arbeitskräfte-Reservoir: Derzeit bastelt man an den rechtlichen Regelungen, um den Nachbarn das Pendeln über die Grenze zu ermöglichen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2008)

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