„Die Epoche der billigen Rohstoffe ist vorbei“

(c) AP (David Zalubowski)
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Gazprom-Vize Alexander Medwedjew über steigende Gaspreise und die Zukunft der europäischen Energieversorgung.

Die Presse: Beginnen wir beim Gaspreis. Worauf muss sich der europäische Verbraucher einstellen?

Alexander Medwedjew: Das bestimmen nicht wir. 60 Prozent betragen die Steuern. Die Verbraucher müssen in erster Linie ihre Regierung fragen. Die Epoche der billigen Rohstoffe ist vorbei. Der Preis hält sich auf hohem Niveau, weil es an Ressourcen mangelt, neue Lagerstätten schwer zugänglich sind und die Nachfrage aus neuen Märkten steigt: Für China und Indien ist das Volumen wichtiger als der Preis.

Ist die Bindung an den Preis der Ölprodukte revidierbar?

Medwedjew: Die Kunden sagen uns, dass ihnen trotz hohem Preis diese Bindung passt, weil der Preis so kalkulierbar bleibt.

Der größte russische Ölkonzern Rosneft hat soeben als Hauptaufgabe fürs nächste Jahrzehnt genannt: „Bohren, bohren, bohren“. Gilt das auch für Gazprom?

Medwedjew: Nicht nur bohren, sondern effizient bohren. Wir werden so viel bohren, wie die Nachfrage im In- und Ausland erfordert. An Vorräten haben wir genug. Unsere Investitionsprogramme sind auf viele Jahre im Voraus berechnet und sehen vor, nach Nordamerika und Südostasien zu exportieren.

Aber Gazprom ist mit der Förderung im Rückstand. Es gibt Berechnungen, dass schon 2010 ein Engpass von 100 Mrd. Kubikmeter auftritt. Im letzten Winter hatten Sie in Südrussland Lieferschwierigkeiten.

Medwedjew: Ich stimme dem kategorisch nicht zu. Der Förderrückgang im Vorjahr war mit dem warmen Winter verbunden. Es gab keinen Sinn, Gas zu produzieren, wenn es niemand braucht.

Aber die Erschließung neuer schwierigerer Lagerstätten ist teurer und aufwändiger.

Medwedjew: Deshalb beobachten wir ja solche Preise für Öl und Gas. Die EU sollte sich mehr darum kümmern, warum es ein Kartellverhalten bei den Produzenten von Anlagen, Materialien und Röhren gibt. Wir sehen hier einen Mangel an Kapazitäten.

Sie kündigten in letzter Zeit derart viele neue Pläne für neue Absatzmärkte an, dass man fragen muss, ob Sie sich da nicht zu weit hinauslehnen. Zu Europa kommen Nordamerika und Südostasien.

Medwedjew: Die Nachfrage wird ja nicht nur von Gazprom bedient, sondern auch von den Ölfirmen und von unabhängigen Gasproduzenten. Deren Produktionsvolumen steigt. Gazprom sitzt ja nur auf etwa 68 Prozent der nachgewiesenen Gasreserven in Russland. Sobald wir einen Liefervertrag mit China oder Korea abschließen, werden die nötigen Investitionen für die Produktion vorgesehen, und vier Jahre später fließt Gas. Und die neue Preispolitik wird den Verkauf im Inland gleich effizient machen wie den Export. Und in Russland wird man mit dem neuen Gaspreis endlich beginnen, Energie zu sparen.

In jedem Fall wird es ausländischer Investitionen bedürfen. Haben Sie nicht den Eindruck, dass das neue Gesetz über Beschränkung ausländischer Investitionen in strategische Sektoren hinderlich ist?

Medwedjew: Jeder Staat hat das Recht, seine ökonomischen Interessen zu schützen. Die staatlich kontrollierten Firmen erhalten ja nur das vorrangige Recht auf die Erschließung und können dann entscheiden, ob ausländische Investoren nötig sind. Ausländische Partner müssen einen Sinn haben. Hier gibt es keine Politik, nur Ökonomie.

Turkmenistan hat zuletzt ein Memorandum mit der EU unterzeichnet. Letzte Woche wurde Gazprom-Chef Miller vom turkmenischen Präsidenten gar nicht empfangen. Wie fassen Sie die Vorgänge auf?

Medwedjew: Wer sich mit wem trifft, ist Sache jedes Landes. Wir gehen davon aus, dass alle Verträge mit uns eingehalten werden. Als übrigens EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner sagte, sie habe in Turkmenistan zehn Mrd. Kubikmeter Gas für Europa gefunden, so scheint mir das nicht sehr ernsthaft, denn um das Gas zu haben, muss man es auch noch transportieren können.

Dafür soll ja Nabucco kommen. Man hört, dass Gazprom nervös ist.

Medwedjew: Selbst nach pessimistischen Prognosen wird Europa bis 2015 mindestens 100 Mrd. Kubikmeter zusätzliches Gas brauchen. Aber die Transportrouten fehlen. „Nord Stream“ und „South Stream“ könnten bloß 85 Mrd. Kubikmeter schaffen. Wir sehen Nabucco nicht als Konkurrenz, denn wir haben unseren Markt, unsere Partner und Erfahrung, wie man solche Pipelines baut.

Gazproms Image in Europa könnte besser sein. Der Imageverlust kam mit der spektakulären Schließung des Gashahns Anfang 2006. Würden Sie nochmals so handeln?

Medwedjew: Erstens haben wir dem europäischen Verbraucher kein Gas abgedreht. Die Ukraine hat die Lieferungen gestört, weil sie Gas aus den Exportröhren gestohlen hat. Ihr haben wir die Lieferung eingestellt, weil es keinen Liefervertrag gegeben hat.

Können Sie sich in Europas Situation versetzen, dass man die Expansion staatlich kontrollierter russischer Firmen fürchtet?

Medwedjew: Bei unseren Industriepartnern spüren wir diese Befürchtungen nicht. Im Gegenteil. Denn sie wissen, dass wir unsere Verträge erfüllen. In der Öffentlichkeit wird wohl bewusst durch Anstrengungen bestimmter politischer Kreise das Bild einer nicht guten Gazprom kultiviert. Meines Erachtens geht es um die Frage, ob ein starkes oder ein schwaches Russland besser für die Weltgemeinschaft ist. Ich sage Ihnen: Ein schwaches birgt weitaus mehr Risiken. Ein starkes wird ein gleichwertiger ökonomischer und politischer Partner sein.

AUF EINEN BLICK:

Seit 35 Jahren liefert die Gazprom-Tochter „Gazprom Export“ russisches Gas nach Westeuropa. Seit dem Gaskrieg mit der Ukraine ist die gegenseitige Abhängigkeit mit Europa konfliktträchtig.

Im Interview mit der „Presse“ lässt der Generaldirektor von Gazprom Export und Vizechef von Gazprom, Alexander Medwedjew, wissen, warum der Gaspreis weiter steigen wird und warum ein starkes Russland für den Westen weniger gefährlich ist als ein schwaches.

An der Energiepolitik der EU zweifelt Medwedjew offen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2008)

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