Finanzkrise: „Bei Gott, dann werden wir unterschreiben“

Die Ukraine und Ungarn haben ihre IWF-Pakete schon geschnürt. Die Türkei will sich erst bitten lassen.

Istanbul. Lange Zeit war von der türkischen Regierung zu hören, die internationale Finanzkrise ginge die Türkei nichts an, ja werde die Rolle der Türkei in der Weltwirtschaft sogar stärken. Es gäbe höchstens Leute, die versuchen würden, eine Krise herbeizureden. Erst allmählich ändert sich der Tonfall, etwa in der Art, wie man über die Möglichkeit eines leichten Schnupfens spricht.

Entsprechend wurde letzte Woche ein Haushalt verabschiedet, der von vier Prozent Wirtschaftswachstum und 17,7 Prozent höheren Steuereinnahmen im folgenden Jahr ausgeht. Auch die optimistischen Schätzungen für dieses Jahr wurden nicht revidiert. In dieser Lage bräuchte die Türkei sicherlich kein Hilfspaket vom IWF. Bleibt die Frage, warum man Tage später doch mit dem IWF verhandelte? Ministerpräsident Tayyip Erdogan versicherte: „Wir werden nicht aufstehen, den Nacken beugen und unsere Zukunft in Dunkelheit stoßen.“ Aber wenn man eine Vereinbarung ohne Auflagen bekommen könnte, „dann bei Gott werden wir uns hinsetzen und unterschreiben.“

Einladung zur Geldwäsche

Der Staatsminister Mehmet Simsek meinte, die Türkei habe kein Standby-Abkommen mit dem IWF nötig, aber es gebe „einige Dialoge auf technischer Ebene“. Erst im Mai hatte Simsek mit Stolz erklärt, dass man in Zukunft vom IWF unabhängig sein werde.

Doch auch Erdogan und seine Minister können nicht die Augen davor verschließen, dass die Krise bereits begonnen hat, die Türkei zu treffen. Trotz der sehr hohen heimischen Zinsen hat die Lira in einem Monat ein Drittel ihres Wertes gegenüber dem Dollar eingebüßt, weil sich internationale Fonds aus der Türkei zurückgezogen haben. Dennoch scheint die Türkei besser auf die Krise vorbereitet zu sein als andere. Insbesondere der Bankensektor wurde nach der sehr schweren Krise 2001 saniert und gilt heute als recht stabil. Doch es besteht eine Abhängigkeit von Krediten aus dem Ausland. Im Sommer stand die private Wirtschaft der Türkei inklusive der Banken mit 193 Mrd. Dollar beim Ausland in der Kreide. Je stärker die Lira abwertet, umso schwerer wiegt diese Schuld tatsächlich.

Der Löwenanteil dieser Kredite ist erst mittel- oder langfristig zurückzuzahlen. Doch zugleich zeigt diese Summe, wie nötig die türkische Wirtschaft Kredite aus dem Ausland hat. Diese fließen nun kaum noch nach. Wie verzweifelt die Lage tatsächlich ist, zeigt ein Gesetzesentwurf, mit dem Ziel, mehr Geld von Türken aus dem Ausland ins Land zu holen. Geld, des Türken aus dem Ausland bringen, sei es per Überweisung, sei es im Koffer, soll für einige Zeit ausdrücklich von jeder Untersuchung über seine Herkunft ausgeschlossen sein. Eine klare Einladung zur Geldwäsche.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2008)

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