Russland: Hartes Pflaster für Geschäfts-Leute

(c) Reuters (Luke MacGregor)
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In 119 Ländern der Welt ist es leichter als in Russland, Geschäfte zu machen. Der Mangel an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hat Folgen. Ein komplexes System aus Korruption und Willkür setzt der Wirtschaft zu.

Moskau. Was Gott getrennt hat, führt der Mensch nur schwer zusammen. Über hunderte Kilometer fließt der große Don durch Russlands Süden von Ost nach West. Aber erst 42 Kilometer vor der Mündung ins Asowsche Meer kreuzt ihn eine Brücke, die auch große Sattelschlepper trägt. Wer Waren aus dem fruchtbaren Kaukasus nach Moskau fährt und von dort Waren aller Art in den Süden schafft, kommt um diesen Übergang nicht umhin. „Tor zum Süden“ heißt er im Volksmund, „Goldenes Tor“ bei den Fernfahrern. Und das nicht wegen der Farbe.

Wie alle Straßen im Land ist auch die Überfahrt über den Don gratis. Wie aber alle Engpässe im Land ist auch dieser zu einer Futterkrippe für die Polizei geworden. „1000 Rubel pro Lkw ist der Satz“, erklärt Sergej Lapin, knapp 30 Euro. „Millionen werden hier täglich links und rechts der Brücke abgezockt.“

Gesetze: Nicht für alle gleich

Der 48-jährige Sergej, der um eine Namensänderung gebeten hat, bebaut über 3000 Hektar Ackerland im Nordkaukasus. Wenn er seine Fahrer mit der Ernte nach Moskau schickt, gibt er ihnen gleich noch weitere 1500 Rubel Bestechungsgeld mit. Etwa zehn Polizeiposten sind nämlich bis dorthin zu passieren, 150 Rubel pro Station zu berappen: „Für nichts, wohlgemerkt“, sagt Sergej: „Die Papiere sind in Ordnung. Die Fahrzeuge auch. Wenn du nicht zahlst, wird der Lkw stundenlang kontrolliert. Die Zeit haben wir nicht.“

In Russland Geschäfte zu machen wird immer schwieriger. Geschätzte 30 Mrd. Dollar Bestechungsgelder wandern jährlich laut der Moskauer Stiftung Indem in die Taschen russischer Beamter. In der Weltbank-Untersuchung „Doing Business 2009“ ist das Land um acht Ränge auf Platz 120 gefallen. „In Russland haben wir bislang keine bedeutenden Reformen bemerkt, die auf unsere Indikatoren in den letzten Jahren Einfluss gehabt hätten“, sagt Weltbank-Expertin Svetlana Bagaudinovaja.

Der Kampf mit der Korruption und Gesetze zum Schutz von Klein- und Mittelbetrieben zeigen keine Früchte. Auch sonst bleibt Russland Fortschritte schuldig: bei der Vereinfachung von Firmengründungen, bei der Vergabe von Krediten und Baugenehmigungen, bei der Registrierung von Eigentum, der Steuerbelastung oder der Einstellung von Mitarbeitern.

„Es wäre interessant, den Ölpreis zu erraten, bei dem Russland endlich Strukturreformen angeht“, ätzt die Wirtschaftszeitung „Wedomosti“. Der über viele Jahre steigende Ölpreis hat bequem gemacht, meinen Kritiker. Die Wirtschaft wuchs auch ohne marktwirtschaftliche Reformen kräftig, Petrodollars ermöglichten großzügige Budgetausgaben und die Ausweitung des Staatseinflusses auf die Wirtschaft. Ein autoritäres Regime mit einer immer korrupteren Beamtenschaft wurde errichtet, der unterentwickelte Mittelstand ignoriert.

„Es ist weder besser noch schlechter geworden, sondern anders“, sagt Sergej Drandrov sarkastisch. Seit 2000 führt der 33-Jährige die Werbeagentur Ideal in Moskau. „Die Gesetze sind weder einfach noch verständlich, und sie gelten nicht für alle gleich.“

Die Gesetzgebung ist in der Tat schlechter geworden, sagt ein Anwalt in Moskau, der die Anonymität vorzieht: „Die Widersprüche wurden größer. Man sieht förmlich, dass in der Duma nicht mehr diskutiert wird, was der Kreml vorschlägt. Der Mangel an Demokratie hat wirtschaftliche Folgen.“

Das Antiterrorismusgesetz etwa, das sich auf Banküberweisungen auswirkt: „Um zum Geld zu kommen, das mir ein Kunde aus der Türkei auf mein Valutakonto überwiesen hat, kann ein Monat vergehen“, sagt Drandrov. Einen Kleinbetrieb kann das umbringen: „Dann wird es erst richtig kompliziert“, fährt er fort. „Eine Firma zu schließen, ist schwieriger und teurer, als eine zu eröffnen. Besser, man lässt sie formal weiterlaufen und fingiert jährlich einen Finanzabschluss.“

„Zwangsverkäufe“ an den Staat

Wo der offizielle Weg durch die Bürokratie versperrt ist, blüht der Markt der inoffiziellen Dienstleister mit ihren engen Kontakten zur Bürokratie. Da landen dann nicht nur Auslandsüberweisungen für eine zehnprozentige Kommission binnen weniger Stunden beim Endempfänger.

Nicht nur Kleinunternehmer, auch die Magnaten spüren das rauere Investitionsklima. Schon lange bevor die Finanzkrise eine Welle von Besitzumverteilungen lostrat, waren Firmenübernahmen unter Zwang, ein Spezifikum der wilden 90er-Jahre, unter Wladimir Putin wieder aufgelebt. Mit dem Unterschied, dass sich heute auch der Staat und seine Beamten mittels Polizei und Justiz Leckerbissen schnappen. „Eine Welle von staatlicher Plünderei hat das Land erfasst“, sagt der Energieexperte Wladimir Milow. Die Signalwirkung ist fatal, sagt der Politologe Igor Bunin: „Das unterminiert die Achtung vor Eigentumsrechten und behindert Investitionen.“

Die meisten ausländischen Investoren schreckt all das nicht. Wer sich hierher wagt, kalkuliert die Bedingungen ein. Die Direktinvestitionen dürften zwar heuer deutlich unter Vorjahresniveau liegen, sagt die Chefökonomin der Alfa-Bank, Natalia Orlova. Doch das habe weniger mit dem Investitionsklima als mit der Finanzkrise zu tun. Es herrsche zwar nicht die Devise „Business as usual“, heißt es unter westlichen Investoren, aber „Business continues“.

In alten Bahnen, wie Sergej Lapin meint: Durch die Krise würden zwar endlich die Löhne und die Mieten sinken, und man könne hoffentlich wieder leichter Personal finden: „Aber an der Korruption ändert das nichts.“

Auf einen Blick

Geschäfte machen in Russland ist schwer. Im „Doing Business 2009“-Report der Weltbank rutscht das Land auf den 120. Rang zurück.

Probleme mit Korruption und mangelnder Rechtssicherheit bleiben weiterhin ungelöst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2008)

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