Migration: Moldawien lebt von fremdem Geld

(c) Die Presse (Matthias Auer)
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Jeder vierte Moldawier arbeitet im Ausland. Sie sorgen für ein Drittel des Wohlstands im Land. Wer kann, folgt ihnen.

Chisinãu. Arbeit und ein sorgenfreies Leben in Kanada versprechen die Plakate, die den Fahrbahnrand der Stefan cel Mare säumen. Wohlhabende westliche Länder werben entlang der Prachtstraße in der moldawischen Hauptstadt Chisinãu um jungen, billigen Nachwuchs aus Osteuropa. Den Moldawiern kommt das gerade recht, denn obwohl schon jeder vierte der rund 4,5 Millionen Einwohner im Ausland arbeitet, suchen gerade die Jungen ihre Zukunft weiter jenseits der Grenzen. Denn das Leben in der ehemaligen Sowjetrepublik Moldawien (Republik Moldova) hat einen Haken: Das Land kann seine Einwohner nicht ernähren.

Jeder Dritte steht ohne Arbeit da. Wer es geschafft hat, einen Job zu ergattern, muss sich mit Durchschnittslöhnen rund um 200 Euro zufriedengeben. Noch schlechter steht es um Beamte, Lehrer und Menschen, die außerhalb der Hauptstadt arbeiten. Im statistischen Mittel muss jeder Bürger im ärmsten Land Europas mit 2,20 Euro am Tag auskommen, so das Ergebnis der Studie „Kaufkraft Europa 2008/2009“ der Gesellschaft für Konsumforschung. Und das bei Preisen, die denen in Westeuropa kaum noch um etwas nachstehen.

Russland und Rumänien locken

In früheren Zeiten war Moldawien eine der wohlhabendsten Sowjetrepubliken. Der Wein aus den Landstrichen zwischen der Dnister und der Pruth floss einst hektoliterweise in Richtung Moskau. Der fruchtbare Boden machte die Region westlich des Schwarzen Meeres zum „Gemüsegarten“ der gesamten russischen Föderation.

Davon ist heute wenig übrig. Politische Spannungen mit Russland ließen den Weinstrom in Richtung Kreml vor wenigen Jahren vorübergehend versiegen.

Dem Land brach plötzlich die einzige nennenswerte Einnahmequelle weg. Intern lähmt eine politische Pattsituation das Geschehen. Knapp nach der Unabhängigkeitserklärung des Landes, Anfang der Neunziger, rief sich auch Transnistrien, ein Gebiet, nicht größer als das Burgenland, zum eigenständigen Staat aus. Bis heute hat die moldawische Regierung die russlandtreuen Abtrünnigen nicht anerkannt. Auf Steuern aus dem „schwarzen Loch“ auf der Landkarte müssen die regierenden Kommunisten in Chisinãu dennoch verzichten.

Doppelt schade, weil der nur zehn Kilometer breite Streifen Land seit Sowjetzeiten die einträglichsten Industrieanlagen des Landes beherbergt. Hier steht die größte Textilfabrik Europas und eines der bedeutendsten Stahlwerke des Kontinents. Moldawien ist außer dem Wein nicht viel geblieben. Nennenswerte Industrie gibt es kaum. Korruption, politische Instabilität und ein Regime, das ausländische Firmen gerne mit einheimischen Partnern „beglückt“, lassen die Investoren zurückschrecken. Im Vorjahr kamen gerade einmal 200 Mio. Dollar (155,5 Mio. Euro) an ausländischen Direktinvestitionen ins Land. Rumänien zog im Vergleich 6,4 Mrd. Dollar Kapital an.

Die Unternehmen, die sich dennoch hier ansiedeln, klagen über eine mangelnde Anzahl gut ausgebildeter Arbeitskräfte. Ein deutscher Automobilzulieferer, der sich erst jüngst im Land niedergelassen hat, sammelt seine Arbeiter jeden Tag in einem Umkreis von 40 Kilometer selbst ein. Auch Lemi Guven, Finanzvorstand der türkischen Efes-Brauerei in Chisinãu, klagt im Gespräch mit der „Presse“: „Die Lage am Arbeitsmarkt ist schlecht. Wir konkurrieren nicht nur mit anderen Unternehmen im Land, sondern auch mit dem russischen und rumänischen Arbeitsmarkt.“

Denn ein Großteil der Moldawier hat mehr als nur einen Reisepass in der Tasche. Im Osten ist jeder Zweite mit russischem Pass unterwegs. Den Rest versuchte der rumänische Präsident Traian Basescu erst vor zwei Jahren damit zu locken, „gleichzeitig mit Rumänien der Europäischen Union beizutreten“. Hunderttausende holten sich ihren EU-Pass an der Grenze ab.

Teure Emigration

Der Strom der Auswanderungswilligen ist seitdem nicht abgerissen, verdient man in Rumänien doch fast doppelt so viel wie diesseits der Grenze. Doch so einfach wie 2006 ist es heute nicht mehr, erzählt die Anglistikstudentin Olga. Zwar nehme das Land ihre Mitbürger noch auf, die Schlange vor der rumänischen Botschaft rücke aber nur langsam vorwärts. Auch andere Wege ins Ausland bleiben vielen verschlossen. So verlockend das kanadische Angebot klingt, ohne Mindestkapital von 10.000 Dollar hat man keine Chance.

Dennoch leben und arbeiten heute bereits geschätzte 1,5 Millionen Moldawier – zum Teil illegal – im Ausland. Die Hälfte der Emigranten in die EU sind Frauen. Die Kinder bleiben oft zurück. Jedes dritte in Moldawien hat zumindest einen Elternteil im Ausland. Mit ihrer Arbeitskraft stützen die Exilanten nicht nur ihre Familien, sondern auch die marode Wirtschaft des Landes entscheidend. Im Vorjahr haben die Exil-Moldawier offiziell über eine Mrd. Euro an ihre Verwandten zurücküberwiesen. Damit kommt ein Drittel des Wohlstandes aus dem Ausland. Genauer gesagt sorgen die Exi-Moldawier für 36,5 Prozent des BIP, so das Ergebnis des „Migration and Remittances Factbook 2008“ der Weltbank. Damit ist Moldawien das Land, das weltweit am stärksten von seinen Emigranten abhängig ist – knapp vor Tadschikistan und Tonga.

AUF EINEN BLICK

Moldawien ist das Land, das laut „Migration and Remittances Factbook 2008“ weltweit am stärksten von Geldüberweisungen der Emigranten aus dem Ausland abhängig ist.

1,5 Millionen Moldawier arbeiteten im Vorjahr größtenteils in Russland und Rumänien. Sie schickten offiziell über eine Mrd. Euro an Überweisungen an ihre Familien, ein Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes.

In Moldawien selbst ist die Situation trist. Politische Spannungen mit der abtrünnigen Republik Transnistrien, eine hohe Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne lassen viele junge Moldawier weiter von einer Zukunft jenseits der Grenzen träumen.

Wer kann, lässt seine Heimathinter sich. Doch auch für die Emigration nach Übersee oder in die Europäische Union mangelt es vielen am nötigen Kleingeld.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2008)

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