Rumänien: „Ein Billiglohn-Land wird das nie“

(c) AP (Vadim Ghirda)
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Die neue Regierung muss die Bürokratie bekämpfen und das Bildungswesen renovieren. 2007 waren laut Weltbank noch immer vier von 100 rumänischen Babys mangelhaft ernährt

WIEN. Es ist ziemlich langweilig, den Aufholprozess eines armen Landes in Zahlen zu fassen. Größen wie „Bruttoreserven, ohne Gold“ oder „Verhältnis Außenschulden zu Exporte von Gütern und Dienstleistungen“ gehören zwar zum Werkzeug jedes Nationalökonomen. Die allgemeine Leserschaft einer Tageszeitung aber kann dem Umstand wenig abgewinnen, dass zum Beispiel im vergangenen Jahr der Anteil der Investitionen an der rumänischen Wirtschaftsleistung um ein Drittel höher war als fünf Jahre zuvor.

Also sei eine andere Statistik zitiert, um die Aufholjagd des 22-Millionen-Einwohner-Staates zu verdeutlichen. 2002 hatten nur 23,5 Prozent der Rumänen ein Handy. Fünf Jahre später waren es 106,7 Prozent, sprich: So gut wie jeder Rumäne telefoniert heute mobil, viele haben mehrere Handys. Ähnlich sieht es bei der Internet-Nutzung aus. Binnen fünf Jahren stieg der Anteil der Rumänen, die Zugang zum Web haben, von 10,1 auf 56 Prozent.

„Korruption kein Thema mehr“

Diese Fortschritte können den Umstand nicht von der Hand weisen, dass Rumänien noch immer viele schwere Probleme hat. 2007 waren laut Weltbank noch immer vier von 100 rumänischen Babys mangelhaft ernährt, zwölf Prozent der Bürger hatten keinen Zugang zu geklärtem Trinkwasser. Und auch der Kampf gegen die schwersten Formen der Korruption ist noch lange nicht gewonnen. Die Europäische Kommission rügte in ihrem letzten Bericht am 23. Juli, dass es einen Mangel an politischem Einverständnis darüber gibt, die Bestechlichkeit auf höchster Ebene auszulöschen.

Allerdings zeigen die eingangs erwähnten Daten ebenso wie das seit zehn Jahren stets über dem Durchschnitt der restlichen einstigen Ostblock-Staaten liegende Wirtschaftswachstum, warum auch nüchterne Beobachter wie die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung dem Land zutrauen, „ein wichtiges regionales Zentrum“ zu werden.

„Korruption, zumindest die tägliche Form davon, ist in Rumänien heute kein Thema mehr“, sagte der österreichische Handelsdelegierte Walter Friedl am Tag nach den rumänischen Parlamentswahlen im Gespräch mit der „Presse“.

Das scheint im Nachbarland Bulgarien anders zu sein. Wie berichtet wurden Sofia Hunderte Millionen an EU-Förderungen gestrichen, weil zu viel davon dorthin versickert, wo es nicht hingehört. „Rumänien hat sich im Gegensatz zu seinen Nachbarn fast völlig privatisiert“, erklärte Friedl. „Wenn Sie einen Gasanschluss brauchen, sitzt der Entscheidungsträger bei der Gaz de France. Den Telefonanschluss bekommen Sie von Orange. Und wenn Sie ein Auto kaufen wollen, müssen nicht mehr wie früher den Dacia-Händler bestechen.“ Gewissermaßen gebe es „heute keine rumänische Wirtschaft mehr.“

Grund dafür sei die tiefe Abneigung gegenüber der Obrigkeit – eine Folge der Ceau?escu-Diktatur. Darum sei in Bukarest niemand auf die Straße gegangen, um gegen den „Ausverkauf der Wirtschaft“ zu protestieren.

200.000 Gastarbeiter kommen

Dennoch werde die neue Regierung genug zu tun haben. Die Finanzkrise löse zwar zwei Probleme. Erstens kämen nach dem Platzen der Immobilienblase in Spanien bis zu 200.000 Gastarbeiter zurück. „Genau die braucht Rumänien jetzt, die packen an.“ Zweitens verkaufen viele Rumänen ihre Grundstücke, womit Investoren nun „gute Locations zu vernünftigen Preisen“ bekämen.

Die Bürokratie abzubauen und das Bildungswesen zu modernisieren, wird aber Job der neuen Regierung sein. Selbst dann werde Rumänien „zwar ein toller Konsummarkt und dank seiner Bodenschätze energieautark werden“, meint Friedl. „Ein Billig-Lohnland wird es aber nie.“ Dafür stiegen die Lohnkosten zu stark – und sei der Aufwand für firmeninterne Schulungen zu hoch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2008)

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