Ungarn: Verzweifelter Kampf gegen Kapitalflucht

György Barcza
György Barcza(c) AP (Bela Szandelszky)
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Ausländische Investoren zogen 850 Mrd. Forint ab – jetzt geht es um den dreifachen Betrag. Noch gibt es Reserven im Land, beruhigen die Experten.

BUDAPEST/WIEN (p.m.). „Stillen Kapitalabzug“ nennt György Barcza, Analyst der ungarischen K&H Bank, den Vorgang; andere sagen „Kapitalflucht“ dazu: Im Oktober haben ausländische Investoren 700 Milliarden Forint (nicht ganz 2,8 Mrd. Euro) vom Staatspapiermarkt genommen. Im November seien es noch einmal 150 Mrd. Forint gewesen, berichtete Barcza am Donnerstag der Online-Wirtschaftspublikation „Menedzsment Fórum“. Diese Woche sei zwar die Panik vorbei, doch habe es weiterhin Kapitalabflüsse gegeben, die von der Ungarischen Nationalbank abgefangen worden seien.

Kritik an Spekulanten

Barczas Erklärung ist dramatisch genug, wenn es um die Geldbeträge geht. Aber immer noch gemäßigt im Vergleich zu Unterstellungen, wonach am Höhepunkt der Finanzmarktkrise Spekulanten versucht hätten, Ungarn in den Staatsbankrott zu treiben.

Noch immer wird heiß diskutiert, ob das Land im Oktober knapp vor dem Abgrund gestanden habe oder nicht. Tatsache sei, so Barcza, dass der Markt der Staatsanleihen „eingefroren war, sodass der Staat nur Kredite mit ganz kurzer Laufzeit aufnehmen konnte“. Das hätte laut dem Analysten leicht dazu führen können, dass Schuldenrückzahlungen oder die Überweisung der Gehälter gestoppt worden wären.

Noch gibt es Reserven im Land, beruhigen die Experten. Laut Barcza sind 2450 Mrd. Forint – ein Zehntel des Nationaleinkommens, das Dreifache der abgezogenen Gelder – im Land. „Jetzt geht es darum, das Abwandern dieses Betrages um jeden Preis zu verhindern.“ Werde das Geld abgezogen, „brauchen wir 2010 einen neuen IWF-Kredit“.

Für die nächsten Monate existieren verschiedene Szenarien. Der Währungsfonds-Kredit von 20 Mrd. Euro war aus der Sicht des Analysten das kleinere Übel. Er sollte dafür reichen, die dringend notwendigen Reformen zu verabschieden, die Grundvoraussetzung für die Wiederherstellung des Anlegervertrauens sein. Dann werde auch der Markt für Staatspapiere wieder in Gang kommen.

Handel leicht erholt

Der Handel mit diesen habe sich in den vergangenen zwei Wochen etwas erholt. Aber die ausländischen Investoren seien noch nicht zurückgekehrt.

Das „schlechteste Drehbuch“ wäre, laut Barcza, falls die sozialistische Minderheitsregierung vor den Wahlen begänne, Zuckerln zu verteilen. Dann würde nämlich auch das restliche Auslandskapital sofort abgezogen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2008)

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