Kreml fürchtet Absinken des Ölpreises

Öltürme
Öltürme(c) AP (ANA MARIA OTERO)
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Die Finanzkrise ist längst zu einer wirtschaftlichen und sozialen Krise angewachsen. Laut dem Ökonomen Sergej Gurijew würden weiter fallende Ölpreise auch die Politik erschüttern.

Die Presse:Die Krise grassiert in Russland mit einer Geschwindigkeit, die verblüfft. Ist der Staat noch Herr der Lage?

Sergej Gurijew: Ehrlich gesagt, ja. Ich habe viel Kontakt mit hohen Beamten. Und ich sehe, dass diese die Lage richtig einschätzen. Sie spüren die Tiefe der Krise schon lange. Und sie unternehmen auch viel dagegen. Der Umstand, dass die Rubelabwertung so schnell vor sich geht, ist eine bewusste Entscheidung.

Kann die Wirtschaftskrise, die in Russland ja bereits in eine soziale Krise übergeht, auch in eine politische Krise münden?

Gurijew: Bislang hat die Staatsmacht die Lage unter Kontrolle. Von einer ernsthaften politischen Krise ist nichts zu sehen. Wenn aber der Ölpreis auf 20 Dollar sinkt, dann brächte das auch eine ernsthafte politische Krise.

Wie sehr empfindet Russland nun, dass es mit der Welt wechselseitig verbunden ist. Vor der Krise herrschte ja das Gefühl vor, dass die Russen alles allein regeln können. Hält dieses Selbstbewusstsein an?

Gurijew: Ich denke nicht. Mir scheint, Russland versteht, dass es ein Teil der Welt ist und dass das Gerede von der Insel der Stabilität ein Fehler war. Es wurde ja viel Derartiges gesagt, nicht nur über Russland, auch über China. Aber jetzt ist offensichtlich, dass das alles nicht stimmt.

Russland hat über 200 Mrd. Dollar gegen die Krise aufgefahren, weitere 40 Mrd. Dollar wurden soeben von Finanzminister Alexej Kudrin versprochen. Die Frage ist: Wie effizient wurde dieses Geld bisher eingesetzt?

Gurijew: Oberste Priorität hatte die Rettung des Bankensystems, dessen Zusammenbruch schon sehr wahrscheinlich war. Es wurde viel Geld aufgewendet, und das System konnte am Leben gehalten werden – ein sehr gutes Ergebnis. Zweite Priorität haben die Großunternehmen, die viele Leute beschäftigen und für diverse Städte lebenswichtig sind. Mit der Unterstützung sollen soziale Unruhen verhindert werden. Dritte Priorität werden Dinge wie die Infrastruktur haben. In Summe macht der Staat natürlich derart viel, dass es unsystematisch erscheint. Und das Gefühl verstärkt sich, weil der Staat im Moment gar nicht die Zeit hat, genau zu erklären, was er tut.

Wie sehr lässt sich jetzt schon erahnen, wie sich die wirtschaftliche Strategie des Staates durch die Krise ändert oder ändern wird müssen?

Gurijew: Ich persönlich habe eigentlich erwartet, dass die Krise den Staat zwingt, offener gegenüber ausländischen Investitionen zu werden. Bislang ist das aber nicht eingetreten. Auch sehen wir keinen größeren Wunsch, mit Nachbarn zu kooperieren. Die künftige Strategie Russlands wird nach der Eröffnungsrede von Premier Wladimir Putin beim Weltwirtschaftsforum in Davos klarer werden. Man sollte sich von ihm aber keine allzu großen Schritte in Richtung ausländischer Investoren erwarten.

In welchen anderen Bereichen könnte sich die russische Wirtschaftsstruktur ändern? Wäre es möglich, dass die immer größere Präsenz des Staates hinterfragt oder die Abhängigkeit vom Ölverkauf überdacht wird?

Gurijew: Ich würde so sagen: Zur allgemeinen Überraschung hat die Regierung bislang keine umfangreiche Verstaatlichung vorgenommen. Ich halte das für ziemlich verwunderlich, denn die Krise wäre ja ein herrlicher Anlass dafür. Man hätte beispielsweise das gesamte Bankensystem problemlos verstaatlichen können. Die Regierung denkt aber anscheinend, dass es doch besser sei, wenn dieser Teil der Wirtschaft in privater Hand bleibt. Mir scheint das eine gute Nachricht.

Dennoch könnte der Staat seine Position in der Wirtschaft weiter stärken. Verlierer sind im Moment vor allem viele Oligarchen. Wenn wir etwas nach vorne blicken: Wer werden die Träger der russischen Wirtschaft nach der Krise sein?

Gurijew: Das ist schwer zu sagen. Ich denke, dass sich die Wirtschaftsstruktur nicht sehr stark ändern wird. Vielleicht werden wirklich einige alte Oligarchen durch neue ersetzt. Aber im Übrigen wird die Struktur unverändert bleiben.

Man ist gewohnt, dass die Russen in den letzten Jahren sehr pompös aufgetreten sind. Kommt jetzt eine neue Bescheidenheit?

Gurijew: Einstweilen kann ich das nicht erkennen.

Es ist also auch zu erwarten, dass die russische Delegation in Davos stark auftritt?

Gurijew: Ich denke, ja.

In welcher Stimmung fahren die Russen nach Davos?

Gurijew: In einer schlechten.

Was erwartet sich Russland von den Gesprächen in Davos?

Gurijew: Einfach zu reden. Und zu versuchen, viele Dinge zu erklären. Es ist ja so, dass die russischen Machthaber das, was sie tun, meist nur sehr schlecht erklären können. Davos wird nun eine Möglichkeit sein, zu erklären, warum es zum Krieg mit Georgien im August kam, was mit dem Gas in der Ukraine passierte, und überhaupt, welche Strategie Russland hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2009)

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