Deripaska: Die Schmach des Oligarchen

(c) Reuters (Alexander Netruskin)
  • Drucken

Der einst reichste Russe versinkt in Schulden. Am Freitag entscheidet sich, ob er den Strabag-Anteil verliert.

Moskau. Man hätte ihm vielleicht doch glauben sollen. Ab und zu versuchte der hagere Mann mit der hohen Stirn ja die Vorstellungen über sich zurechtzurücken. Meistens todernst, wie Oleg Deripaska eben einmal ist. Manchmal lächelte er sogar: „Die Zahlen“, sagte er noch im letzten Sommer, „die stimmen nicht ganz.“

Wie das, wo doch Branchenautoritäten den heute 41-Jährigen als weitaus reichsten Russen auswiesen? „Forbes“ reihte ihn mit 28,6 Mrd. Dollar Vermögen unter die Top Ten weltweit, das russische Magazin „Finance“ sprach gar von 40 Mrd. Deripaska relativierte: Erstens gebe es Reichere als ihn. Und zweitens könne man seine Holding Basic Element (Basel) nicht nur nach Aktiva bewerten: „Man muss auch die Passiva zählen.“

Diesen Hinweis hat mittlerweile die Finanzkrise erübrigt. Nachdem sie im Herbst auf Russland übergeschwappt war, brachte sie nun die Wahrheit auf den Tisch: Aus dem „reichsten“ Russen wurde der größte Verlierer der russischen Privatwirtschaft. In Deripaskas Moskauer Hauptquartier, einen Steinwurf vom Regierungssitz entfernt, geben sich die Gläubiger die Klinke in die Hand. Die Holding steht mit etwa 28 Mrd. Dollar in der Kreide – ein Imperium auf Pump.

Geld zu borgen war nicht schwer. Je weniger das In- und Ausland an die Entwicklung der russischen Demokratie glaubte, desto mehr glaubte es an den Höhenflug der russischen Wirtschaft. Nicht ohne Grund: Seit dem Jahr 2000 wuchs diese mit jährlich über sieben Prozent. Vieles verdankte sich den hohen Preisen für Öl, Gas und Metallen – jenen Rohstoffe, von denen Russlands Export und Budget nach wie vor einseitig abhängt.

Physiker und Hasardeur

Vieles verdankte sich aber auch einer ungeahnten Kreditfreudigkeit. Allein an Auslandsschulden haben russische Firmen und Banken bis zum Juli 2008 ganze 488,3 Mrd. Dollar angehäuft, ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts und zehnmal mehr als der Staat. Die Russen lieben das Risiko und dachten nicht weit voraus. Die für Akquisitionen aufgenommenen Kredite wurden mit Aktien besichert. In der Euphorie der Hausse schien ein rapider Wertverfall unvorstellbar. Heute stehen viele vor den Trümmern: Die Zahl der Milliardäre halbierte sich. Kaum jemand liebte den Nervenkitzel um den Wert der verpfändeten Aktien so sehr wie Deripaska. Der studierte Physiker, der schon in der wilden Privatisierungsphase der 90er-Jahre mit ihren berüchtigten Übernahmeschlachten und Auftragsmorden die Bosse aus der Aluminiumbranche gedrängt hatte, erwies sich auch nach der Jahrtausendwende als der kühnste Draufgänger. Sein Hauptunternehmen, der Aluminiumkonzern „Russkij Aluminii“ (Rusal), war bereits 2002 mit 1,4 Mrd. Dollar verschuldet. Doch Deripaska investierte in Autofirmen, Banken, Versicherungen, Flugzeuge, ins Baugeschäft und die Energieproduktion. 2006 fusionierte Deripaska Rusal mit dem Alukonkurrenten Sual und der Schweizer Glenco zum weltweit größten Alukonzern „UC Rusal“, in dem er die Kontrollmehrheit übernahm. „Es ist schwer am Start“, hatte Deripaska selbst einmal gesagt: „Aber wenn wir einmal in Fahrt sind, kann uns keiner stoppen.“

Er brachte nur einen Auftrag

Grund genug, um auch im Ausland zu beeindrucken. Mehr oder weniger bereitwillig öffneten sich die Tore, als Deripaska 2006 im Westen anklopfte, um sich eigenen Worten zufolge Know-how zu holen. Schon bald kaufte er fünf Prozent an General Motors, 20 Prozent am Autozulieferer Magna, zehn Prozent am deutschen Baukonzern Hochtief – und, mithilfe der Deutschen Bank, 25 Prozent an der österreichischen Strabag, für 1,2 Mrd. Euro.

Die Russland-Perspektive beflügelte westliche Konzerne. Strabag nützte sie zur Stimmungsmache vor dem Börsengang 2007. Deripaska wurde als Türöffner zum russischen Markt kolportiert. „Letztlich war er es nicht“, erklärt ein mit der Kooperation vertrauter Baumanager in Moskau gegenüber der „Presse“: „Einen einzigen Auftrag hat Deripaska gebracht“.

Stundung oder Rückkauf

Die Strabag-Aktien, mit denen Deripaska den Deal besichert hat, sind seit dem Kauf auf ein Viertel eingebrochen. Im Herbst halfen österreichische Banken unter Federführung von Raiffeisen bei einer Umschuldung, sie sprangen mit 460 Mio. Euro ein. Raiffeisen und die Familie Haselsteiner haben ein Aufgriffsrecht auf die Aktien. Heute ist der Tag der Entscheidung, weil eine Kreditrate fällig wird. Eine weitere Stundung ist unwahrscheinlich: Die Alteigentümer, so die Quelle, warteten nur auf diese Möglichkeit, ihre Aktien zurückzubekommen.

Strabag wäre nicht die erste Beteiligung, die Deripaska aufgeben muss. Schon im Oktober zog er sich aus Magna und Hochtief mit großen Verlusten zurück, weil die Kreditbesicherung nicht mehr ausreichte und die Banken daher mit „margin calls“ zum Zahltag riefen. Aber auch russische Aktiva stehen auf dem Spiel oder sind schon verloren, wie etwa die Bank Sojuz. Mit je einer Mrd. Dollar ist der Autoproduzent „GAZ“ und der Baukonzern Glavstroj verschuldet.

Alles Peanuts freilich im Vergleich zu „Rusal“. Das Herzstück, das mit seinen Fabriken in weltweit 19 Ländern der Gesamtholding die Hälfte des Umsatzes beschert, steht mit 17 Mrd. Dollar in der Kreide.

Der Grund: Im April des Vorjahres hat Rusal dem Oligarchen Michail Prochorow für sieben Mrd. Dollar und 14 Prozent der eigenen Aktien die Sperrminorität am weltweit größten Nickelproduzenten „Norilsk Nickel“ abgekauft. Inzwischen hat „Norilsk Nickel“ über vier Fünftel seines Werts verloren. Während Prochorow heute als einer der wenigen Sieger der Finanzkrise gilt, kämpft Deripaska um die Refinanzierung der Kredite bei elf Banken.

Noch hat der Staat Deripaska mit einem Kredit von 4,5 Mrd. Dollar eine Verschnaufpause verschafft. Wenn aber künftig neue Rückzahlforderungen eintreffen und Prochorow seine Verkaufsoption auf die Rusal-Aktien geltend macht, wird der Staat nicht mehr einspringen. Deripaska habe das Limit erreicht, sagte Staatspräsident Dmitri Medwedjew letzte Woche. Damit wird es kritisch. Angesichts der Aluminiumkonjunktur werde Deripaska nämlich die Schulden nicht selbst tilgen können, meint Pavel Schelechow, Analyst in Moskau. Deripaska selbst sagt, er werde keine weitere staatliche Unterstützung brauchen. Er hofft, sich nochmals mit den Banken einigen zu können. Zudem könnten sich Investoren an Rusal beteiligen.

Und wenn nicht? Eine Verstaatlichung oder indirekte Staatshilfe über den Kauf von Obligationen werden als Varianten kolportiert. Das Gros der Beobachter schließt aus, dass der Staat oder die Banken ein solches Unternehmen fallen lassen. Und wie Kleschew meint, werde Deripaska im Notfall alles andere verkaufen, um Rusal zu retten. Allein heuer muss er dafür 8,1 Mrd. Dollar aufstellen.

Der Vater zweier Söhne, der in die Jelzin-Familie eingeheiratet hat, aber auch gegenüber Wladimir Putin loyal war, befindet sich im Wettlauf mit der Zeit. Deripaska selbst indes redet von Reflexion: Eine Krise biete nicht neue Chancen, sondern lehre, „dass die unwahrscheinlichsten Situationen eintreten können“. Durch die Krise hätten die Russen „wieder begonnen, darüber nachzudenken, woran wir Ende der 90er-Jahre aufgehört haben zu denken“.

Zur Person

Oleg Deripaska galt noch im Sommer als reichster Russe. Sein Vermögen wurde auf bis zu 40 Mrd. Dollar geschätzt. Allerdings kaufte der Oligarch viele seiner Firmen mit Krediten.

Die Finanzkrise sorgt jedoch dafür, dass Deripaska seine Kredite nicht mehr zahlen kann. Seine Beteiligung an der Strabag könnte er nun verlieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Bill Gates
International

Forbes-Liste: Reiche Russen verlieren Milliarden

New York löst Moskau wieder als „Metropole der Milliardäre“ ab. Die Zahl der Russen auf der „Forbes“-Liste ist um mehr als die Hälfte von 87 auf 32 zurückgegangen.
Geld & Finanzen

Russland-Probleme lassen Strabag-Aktie abstürzen

Der Baukonzern Strabag könnte demnächst einen wichtigen Kernaktionär verlieren. Analysten kürzen die Kursziele für Strabag-Aktien.
Deripaska bei der Strabag - ein Bild aus besseren Tagen
Österreich

Oleg Deripaska muss bei Strabag aussteigen

Oleg Deripaska muss sein 25-Prozent Anteil an der österreichischen Strabag verkaufen. Die Aktien gehen an die vorigen Eigentümer - Raiffeisen Holding NÖ-Wien, Uniqa und die Familie Haselsteiner.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.