Nichts wie weg: Russlands reiche Flüchtlinge

(c) AP (Theodor Kustov)
  • Drucken

Chodorkowski drohen 20 Jahre Haft. Andere Oligarchen entkamen Putins Zorn durch Flucht ins Ausland.

Moskau. Geduldig tickt die Uhr auf der Webseite des russischen Ölkonzerns „Russneft“, unbeirrbar zählt sie die Stunden. Die „Zeit des Konzerns“ soll sie anzeigen, wie dort erklärt wird. Für Michail Gutseriev ist sie längst abgelaufen. Im Sommer 2007 hat der Gründer des achtgrößten russischen Ölkonzerns das Land fluchtartig verlassen. Einen Monat später kam sein Sohn in Moskau unter dubiosen Umständen ums Leben. „Man hatte mir vorgeschlagen, ,im Guten‘ zu gehen“, schrieb der 51-jährige Geschäftsmann zum Abschied in der Firmenzeitung: „Ich habe mich geweigert. Um mich nachgiebiger zu machen, wurde mein Konzern danach einer beispiellosen Hetze unterworfen.“

Eineinhalb Jahre später fördert der Konzern zwar unermüdlich Öl, aber er bleibt nach wie vor herrenlos. Die Behörden zögern die Übernahme durch Oleg Deripaska hinaus, mittlerweile fehlt diesem ohnedies das Geld. Das Schicksal von Russneft bleibt offen.

Wien, London oder Tel Aviv

Nicht gänzlich klar wurde auch, warum sich der damals drei Mrd. Dollar schwere Gutseriev den Zorn der Behörden zugezogen hatte. Von illegalem Unternehmertum und Steuerhinterziehung sprach die Anklage unter anderem. Dass der gebürtige Tschetschene die Kaukasuspolitik des Kremls nicht unterstützte, ging offenbar noch an. Als Gutseriev aber dem staatlichen Ölkonzern Rosneft in die Quere kam, weil er sich für Teile des zerschlagenen Ölkonzerns Yukos interessierte, begannen 2006 Probleme mit den Behörden.

Wer seit dem Machtantritt Wladimir Putins im Jahr 2000 große Entscheidungen nicht mit den neuen Machthabern abstimmte, musste Federn lassen. Wer zusätzlich zu seinen wirtschaftlichen Ambitionen politische hatte, war doppelt gefährdet. Bei niemandem wurde dies deutlicher sichtbar als bei Michail Chodorkowski. Weil er sich weigerte, den Kotau vor Putin und seinen Aufsteigern aus Geheimdienst und Militär zu machen, Oppositionsparteien finanzierte, im Parlament lobbyierte und Amerikaner in seinen Konzern lassen wollte, wurde er 2003 verhaftet und wegen Betrugs und Steuerhinterziehung zu acht Jahren Haft verurteilt. Im soeben begonnenen zweiten Prozess drohen ihm über 20 Jahre Haft wegen angeblicher Unterschlagung und Geldwäsche.

Im Unterschied zu Chodorkowski hat das Haupttrio der Yukos-Aktionäre gleich zu Beginn der staatlichen Attacken rechtzeitig das Weite gesucht und sich nach Israel abgesetzt. Der Multimilliardär Leonid Nevslin erlangte in Israel – gleich wie seine Aktionärskollegen Michail Brudno und Wladimir Dubow – dank des „Rückkehrgesetzes“ im Eiltempo die Staatsbürgerschaft. Im Vorjahr wurde er von einem Moskauer Gericht in Abwesenheit wegen der Organisation von Auftragsmorden zu lebenslänglicher Haft verurteilt.

Die Causa Yukos war die eklatanteste Zäsur in der Neuordnung des Verhältnisses zwischen Staat und Oligarchen und führte endgültig zu ihrer unbedingten Loyalität gegenüber Putin. Schon bei seinem Amtsantritt löste sich dieser von der Verstrickung des Kremls mit den Oligarchen, die in den 90er-Jahren dank ihres Reichtums die Fäden gezogen hatten, und nahm sie an die Kandare.

Kein Wandel unter Medwedjew

„Wenn anfangs jemand an der Selbstständigkeit des Präsidenten gezweifelt hatte, so blieb nach der Vertreibung Wladimir Gussinskis und Boris Beresowskis aus Russland kein Zweifel mehr daran“, meint Jewgeni Jasin, Ex-Wirtschaftsminister und Rektor der Moskauer Wirtschaftshochschule.

Mit Beresowski ist der einst mächtigste Strippenzieher schon vor über sieben Jahren abgezogen. Zuvor noch hatte der Mathematiker Putin groß gemacht – und wohl auch unterschätzt. Beresowski, der das größte russische Autohändlernetz aufgezogen und bei der Fluglinie Aeroflot ebenso mitgeschnitten hatte wie im Aluminium- und Ölsektor, fand letztlich politisches Asyl in London, wo er sich bis zuletzt mit dem am Gifttod verstorbenen Exspion Alexandr Litwinenko umgab. Zum Verhängnis geworden ist Beresowski der Umstand, dass er zentrale Medien in Russland kontrollierte. Ähnliches gilt vom Medientycoon Wladimir Gussinski, der noch vor Beresowski das Land Richtung Spanien verlassen hatte.

Die Flucht aus Russland ist freilich kein ausschließliches Phänomen der Putin-Ära. Schon vor seiner Zeit haben sich die Oligarchen nach dem Verlust ihrer Aktiva ins Ausland abgesetzt. Der Bankier Alexander Smolenski ging nach Wien, der Ex-Aluminiumhai Michail Tschernoj nach Israel. Unter Präsident Dmitri Medwedjew geht es offenbar weiter. Zu Jahresbeginn setzte sich der 34-jährige Besitzer des größten Handyshopnetzes „Evroset“, Jewgeni Tschitschwarkin, nach London ab. Ihm wird Erpressung und gewaltsame Entführung vorgeworfen.

auf einen blick

Unter Wladimir Putin erlebte die Diaspora der russischen Oligarchen ihren Höhepunkt.

Wer nicht im Gefängnis landete, bezahlte für seine politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen ohne politische Rückendeckung des Präsidenten mit dem Gang ins Exil.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Michail Chodorkowski (li.) und Platon Lebedew.
International

Moskau: Zweites Strafverfahren gegen Chodorkowski

Dem einst reichsten Russen Michail Chodorkowski wird die Unterschlagung von umgerechnet rund 20 Milliarden Euro vorgeworfen. Der Prozess beginnt am 3. März.
KHODORKOVSKY
Eastconomist

Ex-Oligarch Chodorkowski muss wieder vor Gericht

Dem ehemaligen Öl-Milliardär und Kremlkritiker Michail Chodorkowski wird vorgeworfen, rund 20 Milliarden Euro unterschlagen zu haben. Er sitzt seit 2003 wegen Steuerhinterziehung und Betrug im Gefängnis.
Michail Chodorkowsky
Außenpolitik

Russland: Michail Chodorkowski bleibt hinter Gittern

Der ehemalige Ölmagnat muss auch den Rest seiner achtjährigen Haftstrafe absitzen. 2003 war der Milliardär, der die Demokratie-Bewegung im Land unterstützt hatte, wegen Steuerhinterziehung festgenommen wurden.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.