Der meistgehasste Superstar

Bulgarien.Transvestit, Rom, Skandalsänger: Azis, ein Antiheld als Popstar.

Er räkelt sich lasziv in der rosaroten Bettwäsche und streicht dem nackten, muskelbepackten Mann neben sich über Kopf und Rücken. „Keiner krault deine Haare so wie ich“, singt Azis mit dünner Falsettstimme.

Eigentlich heißt er Vassil Bojanov, ein pummeliger 31-Jähriger mit blondiertem Schopf, aufgewachsen in einfachen Verhältnissen. Azis ist Rom, schwul, hat seinen Freund in einer exaltierten Zeremonie auf der Bühne geheiratet und zeigt sich bei Konzerten stets mit überbordender Schminke und knappen Frauenkleidern. Er verkörpert alles, was sie hassen: Vielleicht könnte man so Azis' Wirkung auf die Mehrheit der Bulgaren beschreiben. Azis, der Antiheld als Popstar: Jeder kennt ihn, keiner hört seine Musik. Angeblich.

Eine glatte Lüge. Wie könnte er sonst so erfolgreich sein? Hauptsächlich die jungen Bulgaren kaufen seine CDs, sehen sich seine Talkshow auf dem Sender TV2 an, besuchen Azis' Konzerte in Discos und Folkotheken, mit rustikalem Kitsch eingerichteten Restaurants, in denen man nach dem Essen zur Musik auf den Tischen tanzt.

Aber sich öffentlich als Fan bekennen? Das macht man nur in schwachen Momenten, denn es ist fast soziale Pflicht, den Sänger schlecht zu finden. Für seine Kritiker ist er ein Symbol des gesellschaftlichen Niedergangs nach der Wende. Azis steht für die Kultur des Tschalga, jener bulgarischen Variante des balkanischen Popfolk, bei der sich Beats mit orientalischen Melodien zu Rhythmen verbinden, die selbst die steifen Hüften der Mitteleuropäer wackeln lassen. Tschalga, das ist der bulgarische Bürgerschreck, die Musik der Underdogs, ungeliebtes orientalisches Erbe, roh und pornografisch, ein Zerrbild der neu erlangten Freiheiten. „Za milioni njama zakoni“, heißt es in einem Tschalgalied aus den frühen Neunzigern: „Für Millionen gelten keine Gesetze.“

Azis hat es indes nicht auf simple Bereicherung abgesehen. Sein Thema ist das Spiel mit Geschlechtsidentität: Er ist viele. Keine einfach zu konsumierende Inszenierung in einem Land, in dem Homosexualität bis zum Herbst 2002 strafbar war.

Ist Azis politisch? Eher nicht. Er ist ein Kunstprodukt und zu surreal, als dass er sich als Vorbild eignen würde, auch nicht als schwules. Und doch ist er eine bulgarische Innovation, selbst wenn man das im Land nicht gern hört. Der exaltierte Barde hat seine Nische gefunden, die Welt des Popfolk. In keiner anderen Sphäre hätte er es sonst schaffen können. ?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2009)

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