Russland: Der gekränkte Elch stoppt seine Expansion

(c) AP (Mikhail Metzel)
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Ikea prangert Korruption und Bürokratie an und legt Ausbaupläne auf Eis. Es ist nicht das erste Mal, dass der schwedische Elch und der russische Bär aneinanderkrachen, immer wieder wurde das Möbelhaus beim Bau neuer Filialen von korrupten Beamten schikaniert

Moskau. Der kauzige ältere Herr sollte dem schwedischen Rundfunk nur ein launiges Sommerinterview geben. Doch die Plauderstunde mit Ingvar Kamprad, Gründer von Ikea und fünftreichstem Menschen der Welt, geriet letztes Wochenende zu einer bitteren Anklage gegen öffentliche Missstände in Russland.

„Wir wurden bei den Strom- und Gaslieferungen richtig über den Tisch gezogen“, gestand der 83-Jährige offen. Über 136 Mio. Euro koste ihn der Betrug. Schon hat der Möbelkonzern für seine elf russischen Möbelhäuser, um die er ganze Einkaufszentren baut, eigene Stromgeneratoren angeschafft: „Das Ganze wird eine furchtbar teure Sache.“

Es ist nicht das erste Mal, dass der schwedische Elch und der russische Bär aneinanderkrachen. Immer wieder wurde das Möbelhaus beim Bau neuer Filialen von korrupten Beamten schikaniert und erpresst, immer wieder ging das Management an die Öffentlichkeit und deckte die Missstände auf. Nun ist das Maß offenbar voll. Gestern verkündete Per Kaufmann, Russland-Chef von Ikea, den Stopp aller Ausbaupläne. Zehn weitere Geschäfte mit einer Investitionssumme von 3,6 Mrd. Euro waren laut Tageszeitung „Wedemosti“ langfristig geplant.

Die Liebe der Russen zum „unmöglichen Möbelhaus aus Schweden“ ist trotz Wirtschaftskrise ungebrochen. Keine zweite Handelskette symbolisierte den Wirtschaftsboom in Russland stärker als Ikea. Und in keinem Land profitierte der Konzern mehr von der Kauflust der Bevölkerung. Dort, wo jede Wohnung unter dem geschmacksarmen sowjetischen Einheitsmobiliar litt, begannen sich mit Beginn des neuen Jahrtausends schier endlose Schlangen vor den Ikea-Kassen zu bilden. Und sie stehen noch heute, trotz größerer Konkurrenz auf dem Möbelmarkt.

Ikea ist also gegen den „Übermut der Ämter“ in einer starken Position – wegen seiner Popularität, aber auch als einer der größten Auslandsinvestoren außerhalb des Energiebereichs. Der Auftrag an die Politik ist klar formuliert: Ikea werde erst dann wieder Kapital ins Land bringen, wenn es „klare Anzeichen einer Verbesserung“ im „bürokratischen System“ gebe, heißt es aus Schweden.

Damit wird der Konzern zum Sprachrohr weniger einflussreicher Investoren, die heute unter diesem System leiden, dazu schweigen und zahlen. Konkret stoppen wird Ikea drei Projekte. Bis zu 160 Mio. Euro an Auslandskapital gehen Russland damit verloren. Schwerer aber wiegt der Imageschaden. Schon mehren sich Stimmen aus Regierungskreisen, die eine detaillierte Aufklärung der Vorfälle fordern.

Schikanen ohne Ende

An Details lässt es freilich auch Ikea nicht mangeln. Schonungslos schildert Kaufman den aktuellen Fall, der das Fass zum Überlaufen brachte. Schon Ende 2007 stand ein Einkaufszentrum in Samara an der Wolga kurz vor der Eröffnung. Doch im letzten Moment erhob die regionale Baubehörde Einspruch gegen den 130.000-Quadratmeter-Komplex. Der Bauherr habe gegen neue, bisher nicht bekannte Vorschriften verstoßen. Kaum war der „Mangel“ behoben, passte den Entscheidern etwas anderes nicht. Achtmal musste die Eröffnung verschoben werden. Die Kosten verdoppelten sich. Jetzt sollte es endlich so weit sein, sogar die Waren waren schon ins Regal geschlichtet. Doch da monierte die Behörde, das Bauwerk sei nicht sturmsicher genug. Aber, empfahl ein Beamter in Samara, er kenne da einen Bauunternehmer, der schnell Abhilfe schaffen könnte. Kaufman hegt keinen Zweifel, dass diese Lösung einiges an Bestechungsgeldern kosten würde. Das Ergebnis: Ikea zieht die Reißleine, die ersten Opfer sind 250 Mitarbeiter, die für Samara angeheuert wurden.

Der Ausbaustopp ist auch eine persönliche Niederlage für Firmengründer Kamprad. Er hatte das Russland-Engagement gegen den Willen des Vorstands durchgesetzt. Doch der unermüdliche Visionär hat schon ein neues Steckenpferd: Im Iran, verriet er im Interview hörbar begeistert, wolle er ein Möbelhaus bauen, um „unseren Lebensstil“ unter die Mullahs zu bringen: „Ich glaube, das kann Türen öffnen, die kein Politiker dieser Welt öffnen kann.“

Ikea in Zahlen

Das schwedische Möbelhaushat 253 Filialen, 80 Prozent davon in Europa. In Russland ist Ikea mit elf Standorten präsent, zehn weitere waren bis gestern geplant. Mit 128.000 Mitarbeitern werden weltweit 21 Mrd. Euro. umgesetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2009)

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