Russland: „Mit dem Highlife ist es vorbei“

(c) AP (Alexander Zemlianichenko)
  • Drucken

Die Rezession verändert das Konsumverhalten der früher so spendablen Russen. Plötzlich drosseln sie ihre Ausgaben und beginnen zu sparen. Darunter leiden auch österreichische Exporteure.

Moskau. Alexej Suworow ist kein Kind von Traurigkeit. Weil er den „Fun“ liebt, wie er den Spaß auf Neurussisch nennt, hat er sich zum Skilehrer im Kaukasus ausbilden lassen. In dieser Gegend fesselte Göttervater Zeus einst Prometheus an einen Felsen, weil der Rebell den Menschen das Feuer gebracht hatte. Zur Strafe gehörte auch, dass ein Adler an seiner stets nachwachsenden Leber nagte. Im vergangenen Jahrzehnt hingegen stiegen dort leberschädigende Partys beim Après-Ski.

Aber auch am Fuß der Berge, in der Stadt Sotschi, ging die Post ab. Dort hat der 38-jährige Alexej seine Skikarriere in der Zeit des Booms gegen den lukrativeren und gesünderen Handel mit Importfenstern eingetauscht – und so mit seiner Frau Geld verdient, das umgehend in Jachturlaube und Segelturns floss. „Ein teurer Spaß“, meint er: „Aber das Leben ist kurz und unberechenbar. Ihr in Europa plant auf zehn Jahre. Wir hier leben für den Moment und wissen, dass morgen schon alles vorbei sein kann.“

Das Trauma Rubelkrise

Gewusst, gesagt, geschehen. Heute lebt Alexej mit seiner Frau und dem Kind provisorisch bei ihren Eltern in einer Moskauer Kleinwohnung. „Das Importgeschäft steht seit Monaten still“, sagt er: „Mit dem Highlife ist es vorbei. Ein Glück, dass meine Frau als Nanny 800 Euro verdient. Wir kaufen nur noch das Notwendigste.“

Die Wirtschaftskrise hat nicht nur das Leben der Jungfamilie auf den Kopf gestellt. Sie hat auch das spezifische Kaufverhalten einer Nation verändert. Die kauffreudigen Russen hatten die historische Gelegenheit, im neuen Jahrtausend erstmals Geld und auch entsprechende Konsummöglichkeiten zu haben, maximal genützt. Heute beginnen sie zu sparen. Zu sehr war die Binnennachfrage an die Öleinnahmen und Kredite gebunden, zu wenig wird sie jetzt durch staatliche Krisenbekämpfungsmaßnahmen angekurbelt.

63 Prozent kürzen laut einer Studie die Ausgaben. Laut Statistikamt gaben die Russen im Juni nur noch 62 Prozent ihres Einkommens für den Konsum aus. In den Zweitquartalen der vergangenen zehn Jahre lag er bei durchschnittlich 72 Prozent. Dafür verdoppelte sich im zweiten Quartal der Anteil der gesparten Einkünfte auf 18 Prozent. Derart sparsam waren die Russen zuletzt vor dem Rubelcrash 1998.

Er gilt noch heute als größtes Trauma in der postsowjetischen Geschichte. Laut Umfrageinstitut „FOM“ aber erleben bereits 20 Prozent die jetzige Krise als noch vehementer, 13 Prozent als gleich stark. Das BIP, das im ersten Quartal um 9,8 Prozent gefallen war, ist im zweiten Quartal um 10,9 Prozent eingebrochen, so stark wie noch nie. Die Inflation bleibt bei zwölf Prozent. Experten prophezeien eine lange Stagnation.

Nach dem Überschwang regiert die Angst. Hatte die Wirtschaft jahrelang über mangelnde Arbeitskräfte und hohe Löhne geklagt, so ist nun die Arbeitslosigkeit auf 8,5 Prozent hochgeschnellt. Das ist weniger als in Spanien oder Frankreich. Aber wie eine internationale Studie der Moskauer Wirtschaftshochschule nachwies, fürchtet niemand so sehr die Kündigung wie die Russen. Ganze 57 Prozent halten diese für wahrscheinlich, in Frankreich sind es 35 Prozent. Der Horror der Russen: mangelnde soziale Absicherung und ausbleibender Lohn– wie in den instabilen 90er-Jahren. Im Juni befanden sich bereits 17 Prozent der Mitarbeiter von Groß- und Mittelbetrieben auf Kurzarbeit oder Zwangsurlaub. Die Reallöhne gingen im zweiten Quartal um 4,6 Prozent zurück.

Patriotischer Konsum

Grund genug für eine neuen Bescheidenheit. Die Restaurants in Moskau sind fast leer. Die Ärmeren durchstöbern die Geschäfte nach Billigangeboten. Die Mittelschicht kauft patriotischer. Das trifft auch westliche Firmen. Der Import ist im ersten Halbjahr um 43 Prozent eingebrochen. Die Russen selbst setzen wegen der gesunkenen Rohstoffpreise um ein Drittel weniger im Ausland ab.

Auch die österreichischen Ausfuhren nach Russland, die sich zwischen 2002 und 2008 auf knapp drei Mrd. Euro verdreifacht hatten, sind in den ersten fünf Monaten um ein Drittel geschrumpft. Dafür sorgten auch die Rubelabwertung und neue protektionistische Maßnahmen wie höhere Schutzzölle.

Dabei gilt: Einheimisches in Ehren, aber in Russland ist es längst nicht immer billiger. Ein Linienflug von Moskau nach Sotschi kostet gleich viel wie eine einwöchige Pauschalreise ans Mittelmeer. Und weil eine gewisse Schicht ja noch Geld übrig hat, kommen heuer laut Österreich-Tourismus etwa gleich viele Russen nach Österreich wie im Vorjahr. Alexej Suworow aber fliegt diesen Sommer nirgendwohin.

Auf einen Blick

Früher waren die Russen berühmt für ihre Ausgabefreudigkeit und ihren Hang zu Luxusgütern. Gespart wurde kaum.

Heute hat sich die Sparquote von neun auf 18 Prozent verdoppelt. Viele Russen fürchten sich vor Arbeitslosigkeit und einem Rubelcrash wie in den 90er-Jahren.

Importierte Güter sind vom Konsumrückgang besonders betroffen. Die Russen kaufen patriotischer, Schutzzölle tun ihr Übriges. Importe aus Österreich sind in den ersten fünf Monaten um ein Drittel gesunken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.