Putin wird zum Wirtschaftsliberalen

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Putin(c) REUTERS (RIA NOVOSTI)
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Das private Unternehmertum müsse einen größeren Anteil an der Wirtschaft haben, forderte der Premier. Beobachter glauben, dass die geplanten Privatisierungen nur die leere Staatskasse füllen sollen.

Moskau. Die Überraschung ist sein beliebtestes Stilmittel. Seit zehn Jahren verblüfft der vormalige russische Präsident und jetzige Premier Wladimir Putin mit verbalen Tiefschlägen, hochtrabenden Ankündigungen und ruckartigen Wendungen. So auch letzten Dienstag mit der Vorgabe eines neuen Wirtschaftskurses.

Das private Unternehmertum müsse einen größeren Anteil an der Wirtschaft haben, forderte er: „Illusorisch sind die Hoffnungen, dass man durch totale Einmischung des Staates in die Wirtschaft alles in Gang setzen und in Ordnung bringen kann“, sagte er zum Thema Ausweg aus der Krise.

Nicht die Geschwindigkeit sei entscheidend, sondern die Qualität. Putin versprach, dass der Staat seine Präsenz in der Wirtschaft verringern und zu diesem Zweck zu traditionellen marktwirtschaftlichen Instrumenten wie der Privatisierung greifen werde.

Mehr Staat unter Putin

Was sich in liberalen Marktwirtschaften, zu denen Putin auch die russische Ökonomie rechnet, wie selbstverständlich anhört, käme tatsächlich einem radikalen Kurswechsel gleich.

Gerade unter Putin selbst hatten die dirigistischen Hardliner Oberhand über das wirtschaftsliberale Lager gewonnen und die staatliche Präsenz in der Wirtschaft verdoppelt – und das trotz der Tatsache, dass gerade Russlands Staatsbetriebe weitaus schlechter wirtschaften als private.

Weil aber die Rohstoffpreise hoch waren, gönnte sich der Ölstaat den Luxus und verabsäumte die Diversifizierung der Wirtschaft und die Überwindung der Abhängigkeit vom Rohstoffexport.

Die Wirtschaftskrise stellt die alte Strategie infrage. Hatte Putins Nachfolger Dmitrij Medwedjew schon vor der Krise einen neuen Kurs angedeutet und zuletzt den Sinn der Putin'schen staatlichen Großholdings angezweifelt, so schließt Putin nun selbst verbal zu seinem Ziehsohn auf.

Einmal abgesehen von dem Umstand, dass 80 Prozent der Bevölkerung mit Medwedjew keinen wesentlich neuen politischen Kurs verbinden, wäre ein wirtschaftlicher Richtungswechsel ohne Putins Unterstützung auch nicht zu stemmen. Schließlich erscheint er den Russen immer noch mächtiger als Medwedjew.

Um das Budgetdefizit auszugleichen, hat Vizepremier Igor Schuwalow vergangene Woche erstmals das Thema einer zweiten postsowjetischen Privatisierungswelle aufgebracht und eine Zahl von 5500 Betrieben genannt.

Die Geldnot zwingt dazu, meint die Zeitung „Wedomosti“, nicht die Sorge um den Nutzen für den Markt.

Auf einen Blick

Wladimir Putin vollführt eine wirtschaftspolitische Kehrtwende und plädiert für mehr Einfluss privater Firmen in der Wirtschaft.

Experten sehen den Richtungswechsel kritisch. Sie erklären den plötzlichen Privatisierungswillen mit dem drohenden Budgetdefizit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2009)

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