Ungarn: Stadt enteignet Auslandsinvestor

(c) EPA (Ferenc Kalmandy)
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Neue „Suez-Krise“: Der Stadtrat von Pécs setzt den französischen Konzern "Suez Environment" vor die Tür. Ungarische Medien erinnern an die 1950er-Jahre, als die Kommunisten Privatunternehmen verstaatlichten.

Budapest (p.b.). Im südungarischen Pécs, der künftigen Kulturhauptstadt Europas, geschehen sonderbare Dinge. Im Auftrag der rechtskonservativen Stadtführung wurde kürzlich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion das zentrale Bürogebäude der Pécser Wasserwerke von Sicherheitsleuten gestürmt und besetzt.

Die französische Firma Suez Environment, Betreiber und Co-Eigentümer der Wasserwerke, wurde kurzerhand vor die Tür gesetzt. Der bisherigen Unternehmensführung der Wasserwerke wird der Zugang zum Bürogebäude versagt. Sollte sie es dennoch versuchen, wird sie von kahlköpfigen und finster dreinblickenden Muskelbergen, dem „neuen Sicherheitspersonal“, daran gehindert. Die Spitze der Firma Suez Environment rieb sich ob dieses Vorgehens ungläubig die Augen.

Die Manager, die nach der Delogierung ihrer Tochter aus Frankreich angereist waren, konnten nicht glauben, dass in einem Rechtsstaat ein legal operierendes Unternehmen willkürlich enteignet wird. Ungarische Medien beschwörten sogar die 1950er-Jahre herauf, als die Kommunisten ein Privatunternehmen nach dem anderen verstaatlichten. Suez bereitet nun rechtliche Schritte gegen die Stadtregierung vor.

Doch wie kam es überhaupt zu dieser verqueren Situation? Einige Wochen vor der Besetzung hatte die Stadtversammlung einhellig entschieden, den bis 2020 laufenden Dienstleistungsvertrag mit Suez aufzukündigen. Der Grund: Ein Anwalt war zu dem Schluss gekommen, dass die Franzosen den Privatisierungsvertrag nicht respektieren.

Suez Environment, das 48 Prozent der Anteile hält, habe ohne Rücksprache Anteile an anderen Unternehmen erworben und verrechne zudem zu hohe Wassergebühren. Der rechtskonservative Bürgermeister Zsolt Páva ereiferte sich daraufhin über die Profitgier der Investoren und verlangte eine Offenlegung der Kalkulation.

Nachdem es der Stadt nicht gelang, mit Suez Environment ein Übereinkommen zu erzielen, griff die Stadtführung zur Brechstange und ließ den Hauptsitz der Wasserwerke stürmen. Als neuer Betreiber wurde die Firma Tettye Forrásház Zrt. geschaffen und sogleich mit Kapital versehen, um die Löhne der rund 360 Angestellten ausbezahlen zu können.

Bajnai: „Rüde und inakzeptabel“

Die Entschädigungskosten für die Enteignung bezifferte die Stadt mit drei bis fünf Milliarden Forint (11 bis 19 Millionen Euro). Nicht wenig für eine Stadt, die mit rund 120 Millionen Euro in der Kreide steht. Dennoch sei „keine andere Lösung“ möglich gewesen.

Das Vorgehen der Stadt stieß auch Ministerpräsident Gordon Bajnai sauer auf. Bei einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy vorige Woche bezeichnete Bajnai die Enteignung als „inakzeptabel, rüde und den europäischen Normen zuwiderlaufend“. Sarkozy drückte gegenüber Bajnai die Sorge aus, dass die Sicherheit der in Ungarn getätigten Auslandsinvestitionen nun unweigerlich infrage stehe.

Angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit, dass die rechtskonservative Oppositionspartei Fidesz im nächsten Jahr die Parlamentswahlen in Ungarn gewinnen wird, wurde das Vorgehen der Stadt Pécs von etlichen Kommentatoren bereits auf die künftige Regierungspolitik projiziert – schließlich ist der Pécser Bürgermeister ein ranghoher Fidesz-Politiker.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2009)

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