Tadschikistan: Zittern vor einem dunklen, kalten Winter

(c) AP (Alexei Vladykin)
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Das Regime träumt vom Energieexport: Der Strom aus den Wasserkraftwerken soll in die Nachbarländer verkauft werden. Dabei bleiben die Häuser vieler Tadschiken schon jetzt im Dunkeln.

Duschanbe/Kurgonteppa. Wenn Tadschiken wissen wollen, wie es um ihr Land steht, dann fahren sie zum Aussichtspunkt hoch über dem Nurek-Stausee: zu einem staubigen Parkplatz, der einen Panoramablick auf den blau glitzernden, von Bergen eingeschlossenen See freigibt. Der Nurek-Stausee mit seinem 300 Meter hohen – und damit weltweit höchsten – Damm ist das moderne Orakel der Tadschiken: Denn an den Marken, die das Wasser auf dem sandfarbenen Gestein hinterlässt, lässt sich die Lage der Nation ablesen. Kurz vor Wintereinbruch kündet der Wasserstand davon, wie es um die tadschikischen Stromvorräte der nächsten Monate bestellt ist.

In diesen Novembertagen, an denen es tagsüber warm und nachts schon bitterkalt ist, schöpfen die Besucher Hoffnung. Denn der Stausee ist gut gefüllt, der Wasserstand beinahe auf Höchstniveau. Dieses Jahr sollte es also nicht so schlimm kommen wie vor zwei Jahren. Mit Schrecken erinnern sich die Tadschiken noch an die damalige Eiseskälte von minus 20 Grad und weniger. Damals brach die Stromerzeugung Tadschikistans, die fast vollständig von Wasserkraftwerken abhängig ist, zusammen. Selbst die Hauptstädter – üblicherweise noch am besten mit Elektrizität versorgt – mussten sich mit ein paar Stunden Strom pro Tag begnügen, hunderte Menschen erfroren.

Drei Stunden Strom pro Tag

Kein Wunder, dass nach einem landesweiten Stromausfall Anfang November die Unruhe groß war. Das „Blackout“ war der Aufmacher in allen Zeitungen am nächsten Tag. Daneben prangte – unfreiwillig ironisch – die Anordnung des autokratischen Präsidenten Emomalii Rahmon, dass die Bewohner von Tadschikistans Hauptstadt Duschanbe ab sofort nur noch Energiesparlampen verwenden dürften. Menschen, die in der Provinz leben, dürfte das Lachen über diese Meldung im Halse stecken geblieben sein: Mehr als drei Stunden Stromversorgung pro Tag ist dort nicht üblich; für die Verwendung von Lampen – welcher Art auch immer – bleibt sowieso kaum Zeit.

Spricht man hingegen mit den Behörden, dann steht das Problem der Energieversorgung kurz vor seiner Lösung. Avzalov Ghaibullo Saidovich, Gouverneur der südlichen Region Khatlon, ist ein Bürokrat der alten Schule, der an den Fortschritt glaubt – glauben muss.

Durch seine Provinz fließt der Fluss Wachsch, ein wichtiger Lieferant des Stroms aus Wasserkraft. Er entspringt im Pamirgebirge, quert Tadschikistan und fließt später als Amu Darja ins benachbarte Usbekistan, wo er die Baumwollplantagen des Steppenstaates speist.

Saidovich zählt die Prestigeprojekte des Landes auf. Er spricht vom Nurek-Damm, der noch von den Sowjets in den späten Siebzigern errichtet wurde, vom weiter flussabwärts gelegenen Kraftwerk Sangtudin, das sich russischer und iranischer Hilfe verdankt, und vom seit Langem geplanten Wasserkraftwerk Roghun – einem Projekt, für das bisher das nötige Kleingeld gefehlt hat, wenn auch Regierungsvertreter die Menschen schon mehrmals zum Spenden ihres Lohns aufgefordert haben. „Wir produzieren jedes Jahr mehr Energie“, schwärmt der Gouverneur. Allerdings noch immer zu wenig, um die Bevölkerung zu versorgen. Einen Gutteil des Stroms verschlingt nämlich Zentralasiens größtes Aluminiumwerk in Tursanzade.

Scharmützel mit Nachbarn

Saidovich verkündet eine Vision der Regierung, die angesichts der heimischen Stromknappheit geradezu verwegen klingt: Tadschikistan soll Energie in die Nachbarländer exportieren, ins südlich gelegene Afghanistan, nach Pakistan und in den Iran.

Doch anstatt friedlicher Nutzung der Ressourcen bestimmen Energiescharmützel mit den Nachbarländern den Alltag. Vor allem mit Usbekistan: Jeder neue tadschikische Staudamm weckt mehr Argwohn beim wasserabhängigen Nachbarn, der die sommerliche Bewässerung seiner Baumwollplantagen gefährdet wähnt.

Die Usbeken haben wiederum den Tadschiken wegen nicht bezahlter Rechnungen (so die offizielle Begründung) unlängst das Erdgas, das Tadschikistan zur Gänze importieren muss, abgedreht.

Auch in diesen Tagen ist die Hauptstadt Duschanbe im Vergleich zur Provinz gut versorgt. Und das wird auch so bleiben, prognostiziert ein Mitarbeiter einer internationalen Hilfsorganisation: „Damit die städtische Bevölkerung ruhig bleibt.“

Präsident Rahmon kann sich allerdings relativ sicher sein, dass sich Unmutsbekundungen auf private Äußerungen beschränken werden, sollte es doch wieder dunkel und ungemütlich werden. Denn das Trauma des Bürgerkriegs, der das Land zwischen 1992 und 1997 erschütterte, ist noch immer zu spüren. Die Angst vor einer neuerlichen Eskalation des politischen Systems ist groß. Wegen eben dieser Angst könnte Emomalii Rahmon sogar die größte Eiseskälte politisch überleben.

auf einen blick

Tadschikistan verfolgt einen verwegenen Traum. Das Land hängt zwar in der Stromversorgung fast zur Gänze von seinen Wasserkraftwerken ab. Immer wieder leidet das Volk im Winter unter Strommangel.

In Zukunft aber soll das knappe Gut nach Afghanistan, Pakistan und in den Iran exportiert werden. Das wünscht das Regime.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2009)

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