Analyse: Die Besten im Westen? Von wegen!

(c) Bilderbox (Ewin Wodicka)
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Die Geldschwemme in Richtung Emerging Markets könnte von Asien nach Osteuropa überschwappen. Weder Polen noch Lettland werden im heurigen Jahr das größte Budgetdefizit aufweisen.

Wien. Frierende Bauern in Polen, Massen an arbeitslosen Akademikern in Ungarn und in Estland und Lettland der dramatischste Wirtschaftseinbruch seit Langem: Auf den ersten Blick geben Osteuropas Volkswirtschaften im Moment allen Anlass zur Sorge. Und tatsächlich: Ungarn, Lettland und Rumänien konnten nur durch Finanzspritzen der EU (gemeinsam mit dem IWF) vor einem noch stärkeren Absturz bewahrt werden. Blickt man jedoch genauer hin, zeigt sich: Die schwarzen Schafe sind nicht im Osten, sondern im Westen der EU zu suchen.

Weder Polen noch Lettland werden im heurigen Jahr das größte Budgetdefizit aufweisen, sondern Großbritannien und die Iren, so eine Schätzung der EU-Kommission. Die Slowenen und Tschechen haben die Portugiesen in Sachen Lebensstandard hinter sich gelassen. Während man in Slowenien und der Slowakei bereits mit Euro bezahlen kann, müssen Briten, Schweden und Dänen darauf noch warten. Ganz zu schweigen von Griechenland, wo sich die neue Regierung in Athen vermutlich mit einem Budgetdefizit von 12,2 bis 14,5Prozent des BIPs herumschlagen wird müssen.

Keines der zehn neuen EU-Mitglieder ist in einer derart schlechten Verfassung. Am schlimmsten erwischt es vermutlich Lettland mit einem Budgetdefizit von 12,3 Prozent des BIPs. Und das, obwohl der Sturz in Osteuropa heftiger ausfiel als im Westen. Seit Beginn der Krise 2007 mussten die Prognosen für die Region um 15,8 Prozent nach unten revidiert werden, schreibt Zsolt Darvas in einer Studie der Brüsseler Ideenschmiede Bruegel. Stärker als in den meisten anderen Regionen der Welt.

Der Studie zufolge hat vor allem der EU-Beitritt vieler osteuropäischer Staaten zu einem Anstieg der Kredite aus dem Westen und damit zu einer Konsum- und Immobilienblase geführt. Von den fantastischen Wachstumszahlen der vergangenen Jahre werden die Staaten 2010 nur träumen können. Und dennoch: Schneller als ihre westlichen Nachbarn wachsen sie im Schnitt allemal, sind sich Wirtschaftsforscher weitgehend einig.

Kapital sucht Schwellenländer

Diese Erkenntnis ist seit einigen Monaten auch wieder in die Köpfe der Investoren zurückgekehrt. Spätestens seit dem dritten Quartal des Vorjahres haben die Börsen in Osteuropa kräftig nach oben ausgeschlagen, konnten sich zumindest stabilisieren. Während etablierte Märkte, wie in Europa und den USA, unter einem geringeren Handelsvolumen litten, haben Aktienfonds, die ausschließlich in Emerging Markets investieren, im Vorjahr weltweit einen Zufluss von 75 Mrd. Dollar (51,6 Mrd. Euro) verzeichnet. Mehr als im bisher stärksten Jahr 2007, als sich die Kassen der Fondsmanager in Schwellenländern mit 54 Mrd. Dollar füllten. Die klaren Gewinner des Geldregens sitzen in Asien. Angetrieben von China haben auch Indien und zu gewissen Teilen bereits Russland von dem Boom profitieren können.

„Osteuropa ist ausgeblutet“

Die hohe Liquidität in diesem Segment wird im ersten Quartal auch an die Börsen in Osteuropa überschwappen, erwartet Fritz Mostböck, Chefökonom der Erste Bank in Wien. Denn in manchen asiatischen Märkten sei „die Luft nach oben dünn“. Auch wenn er in Asien noch keine explizite Blasenbildung beobachten konnte, rechnet der Experte mit einer Umschichtung des Kapitals in Richtung Osteuropa. Denn hier sei man von einer neuerlichen Blasenbildung weit entfernt. „Osteuropa ist schon ausgeblutet worden. Wir haben erst den Wendepunkt erreicht“, pflichtet sein Kollege Henning Eßkuchen bei.

Die Analysten sehen Potenzial nach oben, wenn auch nicht in allen Ländern gleichermaßen. Denn genauso wie vor einem Jahr US-Investoren fälschlicherweise zum Rückzug aus der gesamten Region gerufen hatten, weil einige Länder schlechte Zahlen lieferten, wäre es jetzt falsch, wieder blind in alle Staaten der Region zu investieren.

Denn während Polen als Musterschüler Mittelosteuropas wohl einen großen Teil des Kapitalzuflusses an sich ziehen dürfte, haben die Börsen in Ungarn und der Türkei die erwartete Wirtschaftserholung bereits in den vergangenen Monaten stark eingepreist. Das größte Potenzial sehen die Analysten der Erste Bank, trotz der Abhängigkeit vom Rohölpreis, in Russland und in Rumänien.

Das Land ist allerdings ein Spezialfall. Rumänien, wo die Bank mit ihrer Tochter BCR ihre größte Ost-Beteiligung hat, leidet stärker als etablierte Märkte unter der Risikoaversion vieler Investoren. Zudem ist das gehandelte Volumen, so wie in ganz Südosteuropa, eher gering. „Wunderdinge“ seien hier nicht zu erwarten, so die Einschätzung. Entwicklungspotenzial nach oben gebe es aber genug.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2010)

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