Rumänien: Das Jobwunder ist längst Geschichte

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Die Regierung in Bukarest baut im öffentlichen Bereich ab – und unternimmt laut Privatwirtschaft nichts gegen die galoppierende Arbeitslosigkeit.

BUKAREST/WIEN. Rumäniens Ministerpräsident Emil Boc kommt in einer – noch unfertigen – Analyse der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung ganz schlecht weg: Die Maßnahmen gegen die Krise hätten nur „fiktive Auswirkungen“ auf die reale Wirtschaft gehabt, die Regierung habe die Gelder des Internationalen Währungsfonds nicht nutzbringend verwendet.

Die geballte Kritik kommt einem Teil der Medien noch wie Lob vor. Es vergeht kein Tag, an dem die Bukarester Koalition nicht wegen der Versäumnisse gegeißelt wird. So erging es Boc auch mit der jüngsten Parlamentsrede, in der ein „Krisenbekämpfungspaket“ angekündigt werden sollte. Der Premier sammelte dabei laut der ungarischsprachigen Tageszeitung „Szabadság“ („Freiheit“) alle Maßnahmen der vergangenen Monate zusammen und „verkaufte“ sie als Neuerungen: vom Programm „erstes Heim“ für Jungfamilien über die zweite Rate der Autoschrottprämie bis hin zur Steuerfreiheit für reinvestierte Gewinne. Unter den vor Monaten angekündigten weiteren Schritten finden sich Steuererleichterungen für Jungunternehmer, die Vereinfachung der Steuererklärungen oder die Abschaffung der Verpflichtung, die Gewinnsteuer im Voraus zu entrichten.

Jonglieren mit Statistiken

Besonders schlimm finden die Medien das Jonglieren mit den Arbeitslosenzahlen. Die Beschäftigungsstatistiken werden je nach Bedarf erstellt. Galten Anfang 2009 noch 4,8 Millionen Rumänen als „beschäftigt“, so ist ihre Zahl bis zur Jahreswende um 440.000 Personen gesunken. Die Arbeitslosenrate ist im Februar auf 8,3 Prozent gestiegen, den höchsten Wert seit 2003 und seit dem Beginn des Jobwunders, den Rumäniens EU-Beitritt nach sich gezogen hatte. Noch Anfang 2008 hatte die Wirtschaft des Landes unter Arbeitskräftemangel gestöhnt. Damals werkten gut zwei Millionen Rumänen in Westeuropa.

Noch weiter steigende Arbeitslosigkeit ist die bittere Pille, die der IWF Rumänien verschrieben hat. Als eine IWF-Delegation in Bukarest über die Auszahlung gestoppter Beträge verhandelte, meinte deren Leiter Jeffrey Franks, bis Jahresmitte könnte eine Million Rumänen ohne Job dastehen. Man schreibe der Regierung in Bukarest nicht vor, wie sie die Personalkosten im öffentlichen Bereich senken solle. Es gebe zwei Wege: Entweder man reduziere die Gehälter oder die Zahl der Beschäftigten. Rumänien hat sich für einen Mix aus beidem entschieden.

Die Arbeitslosigkeit wird also bei 8,3 Prozent nicht haltmachen. Allein der Abbau im öffentlichen Sektor soll 80.000 bis 100.000 Menschen betreffen. Die radikalsten Personaleinsparungen stehen bei den rumänischen Staatsbahnen bevor. Und trotzdem richten sich die Proteste nicht gegen den Abbau an sich, sondern gegen die Vorgangsweise: „So werden mehr als zehntausend Menschen gekündigt, und es gibt keine umfassende Vorstellung einer Reorganisation, die der Bahn dienen würde“, steht in einem Gewerkschaftspapier. Die Notwendigkeit einer Reorganisation wird bejaht, „doch man sollte nicht an den Beschäftigten sparen“.

IWF-Delegationsleiter Jeffrey Franks sieht das anders: Rumänien könne sich „einen öffentlichen Sektor vom Typ Mercedes nicht leisten, sondern muss sich mit einem Dacia-Typ begnügen“.

Und die Privatwirtschaft? „Wir erwarten heuer weitere 500.000 Freisetzungen“, sagt Adrian Izvoranu, Generalmanager der Allianz der rumänischen Arbeitgeberverbände ACPR. „Aber ich denke, dass die Schätzungen wieder übertroffen werden, weil es im Privatsektor weiterhin sehr viele Probleme gibt – und keine konkreten Maßnahmen der Regierung.“

AUF EINEN BLICK

Die Arbeitslosigkeit in Rumänien könnte bis Jahresende auf weit über zehn Prozent klettern: Die Regierung baut unter Druck des Internationalen Währungsfonds im öffentlichen Sektor ab, parallel dazu drohen in der Privatwirtschaft weitere Pleiten. Unternehmerverbände wie Gewerkschaften werfen der Regierung Boc vor, keine Maßnahmen zu setzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2010)

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