Moskau greift nach Kiews Energie

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Russland bläst zum wirtschaftlichen Angriff auf die Ukraine. Die Fusion von Gazprom und Naftogaz ist ebenso Thema wie die Einverleibung der ukrainischen Atomindustrie.

Moskau. Im Rückblick wirkt der erste Angriff strategisch durchkomponiert. Russlands Schachzüge scheinen bis zum Ziel weit vorausgeplant. Er schlage vor, den russischen Gaskonzern Gazprom mit dem ukrainischen Staatskonzern Naftogaz zu fusionieren, sagte der russische Premier Wladimir Putin Ende April. Nachdem die erste Panik in der Ukraine verflogen war, meinte Gazprom-Chef Alexej Miller am Montag beschwichtigend, die Fusion könne ja „sukzessive“ passieren. Und überhaupt „liegt es Russland fern, der Ukraine irgendwelche Schemata aufzudrängen“, legte Kremlchef Dmitri Medwedjew am Dienstag nach: Aber wenn man pragmatisch an die Frage neuer Zusammenschlüsse herangehe, „werden alle zufrieden sein“.

Was vor Monaten noch undenkbar war, wird plötzlich ernsthaft erwogen. Die Konzerne, die sich eben in Gaskriegen zerfleischten, sodass halb Europa fror, sind auf dem Weg zur Verschmelzung. Auch auf die ukrainische Flugzeug- und Atomenergieindustrie hat Russland sein Auge geworfen.

Neuer Kredit vom IWF nötig

Russland bläst zur wirtschaftlichen Großoffensive. Und rennt bei der neuen ukrainischen Führung halb offene Türen ein. Nicht dass diese das Land an Moskau ausverkaufen will, wie die Opposition klagt. „Aber sie braucht Geld“, erklärt Wladimir Saprykin von „Razumkov-Zentrum“. Und sei deshalb zu vielem bereit. Das hat sogar die EU hellhörig gemacht. Dieser Tage wurde bekannt, dass die Ukraine schon vor Jahresende assoziiertes Mitglied der EU werden könnte.

Die Wirtschaftskrise hat die Ukraine in die Knie gezwungen. Um knapp 15 Prozent ging das BIP 2009 zurück. Der Internationale Währungsfonds (IWF), der schon Ende 2008 eingesprungen ist, verhandelt über ein neues Stützpaket. Auch Russland, Geldgeber des IWF, wird sich laut Medwedjew bei internationalen Finanzinstitutionen für die Ukraine stark machen.

Seit bei den Präsidentenwahlen im Februar der russischsprachige Viktor Janukowitsch die russlandfeindlichen Vorgänger ausgeschaltet hat, schlägt Moskau andere Töne an. „Moskau will den Moment nützen und ist ungemein aggressiv“, sagt Wladimir Dubrovskiy von „Case Ukraine“. Mit einem Preisnachlass von 30 Prozent für Gas preschte Moskau vor. Als erste Gegenleistung hat es sich den Verbleib der Schwarzmeerflotte vor der Krim bis 2042 ausbedungen. Das war nur der Auftakt, meinen Experten. „Nun geht es um weitere Gegenleistungen“, sagt Saprykin: „Der gesamte Energiesektor steht zur Diskussion.“

Eine Fusion von Gazprom mit Naftogaz wäre aber selbst der ukrainischen Führung zu viel. Daher wird an Alternative getüftelt. Nach Angaben des russischen Vize-Regierungschefs Igor Setschin wird nun die Errichtung eines Gemeinschaftsunternehmens geprüft. „Russland hat sein Angebot unterbreitet, das die Ukraine unter die Lupe nehmen wird.“ Russland hätte gern Zugriff auf das ukrainische Pipelinenetz.

Moskau will Atomsektor

Lässt sich die Fusion zögerlich an, so macht Russland beim Zusammenschluss des Atomsektors Druck. In keinem zweiten Land befinden sich so viele russische Atomreaktoren wie in der Ukraine. Schon bisher wurden sie mit Brennstoff aus Russland versorgt. Im Sommer sollte der Liefervertrag verlängert werden. Nun will Putin mehr, und zwar die Schaffung eines geschlossenen Kreislaufes. Über ein Gemeinschaftsunternehmen sollte Russland Zugriff auf die großen Uranvorkommen in der Ukraine bekommen. Abgesegnet wurde diese Woche bereits ein Gemeinschaftsunternehmen im Flugzeugbau. „Russland arbeitet mit Hochdruck am Zugriff auf ukrainische Wirtschaftssektoren“, sagt Saprykin. Schon bald könnten die Russen zu den Auktionen um Leckerbissen wie die Telefongesellschaft Ukrtelekom oder Wärmekraftwerke zugelassen werden, meinte der ukrainische Vizepremier Sergej Tigipko am Dienstag.

Was Moskau genau haben will, hat Putin schon Ende April erklärt: „Wir wollen alles gleichzeitig.“

auf einen blick

Russland prescht vor und regt die Fusion von Gazprom mit der Naftogaz an, greift nach der ukrainischen Atomindustrie und dem Flugzeugbau. Während die Russen zum großen Coup rüsten, handelt der IWF mit Kiew die Bedingungen für neue Kredite aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2010)

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