Rumänien: Rentner und Mütter marschieren

Rumaenien Rentner Muetter marschieren
Rumaenien Rentner Muetter marschieren(c) EPA (ROBERT GHEMENT)
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Die Sparmaßnahmen der Bukarester Regierung rufen heftige Massenproteste hervor, weil in den oberen Rängen des Staates und bei den Sicherheitskräften nicht gespart wird.

BUKAREST/WIEN. Rumänien ist anders, das zeigt sich auch bei der größten Massenkundgebung seit Ende des Ceausescu-Regimes: Während vor dem Regierungspalast an Bukarests Piaţa Victoriei (Siegesplatz) Zehntausende gegen die Sparmaßnahmen protestierten, „ersuchte“ drinnen Ministerpräsident Emil Boc Staatssekretäre und andere Vertreter der Obrigkeit, ihre Sitzungsgelder aus Unternehmen mit Staatsbeteiligung einem „Solidaritätsfonds“ zu spenden. Damit das Ganze nicht so freiwillig erscheint, fügte er noch die Bitte an seine Minister hinzu, spendenunwillige Funktionäre abzulösen.

Die Regierung Boc kann gar nicht anders, als die tiefen Spuren ihrer Sparmaßnahmen zu verwischen. Sie muss auf der Reduktion aller staatlichen Löhne und Gehälter um ein Viertel und aller Renten und Pensionen um 15 Prozent bestehen, dazu auf Einschnitten bei Sozialleistungen, um die Vorgaben des Internationalen Währungsfonds zu erfüllen. Die Institution hat dem Vernehmen nach für die Auszahlung der nächsten Rate des 20-Milliarden-Euro-Rahmenkredits eine einzige Bedingung gestellt: Das Budgetdefizit müsse unter das Maß des Vorjahres, 7,2 Prozent des Bruttosozialprodukts, gedrückt werden. Ohne die Einschnitte bei den Staatsdienern drohte ein Minus von neun Prozent. Keine andere Maßnahme würde die notwendigen Einsparungen bringen, sagte Finanzminister Sebastian Vladescu im TV-Sender Antena 3. Laut Wirtschaftsforscher Aurelian Dochia sind die Einkommen der Staatsdiener in den vergangenen vier Jahren jährlich um 25 Prozent gestiegen. „Eine 25-prozentige Kürzung bedeutet die Rückkehr zu 2007.“

Vier Geheimdienste

Auch Zentralbankchef Mugur Isarescu bezeichnete die Auswahl der Sparmaßnahmen als richtig: „1990 arbeitete der Staat mit rund 800.000 Beschäftigten, einschließlich jenen im Zentralkomitee (der KP, Anm.). 20 Jahre später haben wir 1,4 Millionen, und wir fragen uns, wo das Problem ist.“

Die Tageszeitung „Ziarul Financiar“ hat den Kern des Problems enthüllt. Es sei kein Wunder, dass der Staatsapparat rund 30 Prozent des Budgets verschlinge – dominant seien Institutionen, auf die schon der kommunistische Diktator Ceausescu gesetzt habe: Armee, Polizei sowie die vier (!) Geheimdienste SIE, SPP, SRI und STS. In der offiziellen Statistik gar nicht ausgewiesen, beschäftigen diese 260.000 Personen, ein Fünftel aller Staatsdiener. Die „Strukturen“ verschlingen aber nicht ein Fünftel, sondern fast zwei Fünftel des für den Staatsdienst reservierten Budgets von 10,7 Mrd. Euro. Dieser Betrag wiederum macht 9,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus – so viel, wie das gesamte Budgetdefizit Rumäniens ohne Sparmaßnahmen betragen würde.

Kein Wunder, dass die Medien vor Sarkasmus strotzen. Die einen meinen, es müsste nur die „schwarze Wirtschaft“, die ein Drittel der legalen ausmache, wie seit zwei Jahrzehnten versprochen, zurückgedrängt werden. Andere folgen dem bekannten Polit-Analysten Mugur Ciuvica, der meint, man bräuchte gar keine Lohn- und Gehaltskürzungen bei den Staatsdienern, sofern die Korrupten unter diesen nur die Hälfte stehlen würden.

Die Dritten plädieren für ein Ende der Verschwendung in den oberen Rängen des Staates. So betrachten es viele Medien für erwiesen, dass „sowohl die Regierung als auch der Präsidentenpalast oder die Parlamentsabgeordneten ungebremst Geld ausgeben“, schrieb etwa die ungarischsprachige Zeitung „Háromszék“. Die Euromillionen flögen nur so umher, „während die Rentner mit den Zähnen knirschen und die jungen Mütter mit Windeln aufmarschieren, das Land unrettbar verarmt und die Geschädigten die Sache sichtlich nicht verstehen“.

Wiederholung am 31. Mai

Tatsächlich entlud sich bei der Kundgebung auf dem Bukarester Siegesplatz die ohnmächtige Wut der von den Sparmaßnahmen am schlimmsten betroffenen Bevölkerungsteile. Unter den nach Polizeiangaben 40.000 Menschen waren nicht nur Staatsdiener, sondern auch Ärzte, Bauern, Rentner und viele Frauen mit Kleinkindern, die einen Teil der Sozialhilfen verlieren sollen. Alle stimmten sie dem Aufruf der Gewerkschaften zu, am 31. Mai „an dieser Stelle“ wieder zu demonstrieren, falls die Forderungen nicht erfüllt würden. Zu diesen gehört es, die Mindestrenten von 170 Euro pro Monat nicht weiter zu kürzen.

AUF EINEN BLICK

Rumäniens Regierung hat unter dem Druck des Internationalen Währungsfonds radikale Sparmaßnahmen verfügt. Beim ersten Massenprotest wurde schon der nächste angekündigt, falls die Lohn- und Pensionskürzungen nicht zurückgenommen werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2010)

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