Polen: Das Wunder an der Weichsel

Polen Wunder Weichsel
Polen Wunder Weichsel(c) EPA (Bartosz Bator)
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Das Wachstum liegt an der Spitze Europas. Analysten der US-Großbank JP Morgan schraubten kürzlich ihre Wachstumsprognosen für 2010 von 3,2 auf 3,5 Prozent nach oben.

Warschau (n-ost)„Dieser Anstieg überrascht sogar die größten Optimisten“, freut sich Roman Karkosik in der Wirtschaftszeitung „Puls Biznesu“. Der Großindustrielle gehört zu den wichtigsten Geschäftsleuten des Landes. „Wir sind am Anfang eines neuen Wirtschaftszyklus“, jubelt der sonst schweigsame Milliardär.

Sollten sich die Prognosen bewahrheiten, läge Polen wieder an der Spitze Europas – genau wie im vergangenen Jahr. Während die Nachbarländer in die Rezession gestürzt waren, verzeichnete Polen als einziges EU-Mitglied im Krisenjahr 2009 ein Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent.

„Polnische Wirtschaft“

Noch vor einem Vierteljahrhundert galt Polen als der Ostblockstaat mit den schlimmsten Versorgungsengpässen. Der Begriff „polnische Wirtschaft“ stand für ein System, das nicht funktionierte.

Heute ist der Konsum die treibende Kraft hinter dem Wirtschaftswunder an der Weichsel. Mit seinen 38 Millionen Einwohnern ist Polen der sechstgrößte Binnenmarkt in der EU. Überall locken Einkaufzentren mit riesigen Flächen die Kunden an. In den Zlote Tarasy, den goldenen Terrassen im Zentrum von Warschau beispielsweise, gibt es auf drei Stockwerken 200 Läden, ein Hotel und ein Multiplexkino. Der Konsumtempel hat sieben Tage die Woche von 7 bis 22 Uhr geöffnet – auch sonntags, wenn im katholischen Polen die Kirchenglocken läuten.

Der Kaufrausch der Polen beflügelt die Gesamtwirtschaft: Der private Konsum trägt rund 60 Prozent zum polnischen Bruttoinlandsprodukt bei. Der Anteil des Außenhandels ist hingegen relativ gering, die weltweite Krise hat Polen deshalb weniger hart getroffen als den Nachbarn Deutschland. Hinzu kommt, dass der Zloty in der Krise stark abgewertet wurde – und sich polnische Waren im Ausland deshalb sogar besser verkauften als vorher. Außerdem hat Polen die Fehler anderer osteuropäischer Staaten vermieden. Die Wirtschaft ist seit dem EU-Beitritt vor sechs Jahren moderat gewachsen, ohne sich künstlich mit Krediten internationaler Geldgeber aufzublähen. „Dadurch ist unsere Wirtschaft wesentlich widerstandsfähiger gegenüber Turbulenzen auf den den Kreditmärkten“, sagt Anetka Patkowska, Sprecherin beim polnischen Wirtschaftsministerium.

Trotzdem haben einige Unternehmen die Krise zu spüren bekommen. Besonders bei größeren Anschaffungen wie Autos oder Möbel halten sich die Polen zurück. „2009 ist der Verkauf von Mittelklassewagen komplett weggebrochen“, sagt Händler Peter Pasternak vom Autohaus Auta Roczne in Gliwice (Gleiwitz), der unter anderem Mercedes-Jahreswagen an Geschäftskunden verkauft. „Das zeigt, dass es den Leuten schlechter geht.“

Einen Schub erhofft sich das Land von der Fußballeuropameisterschaft, die 2012 in Polen stattfinden wird. Momentan wird viel Geld in die Infrastruktur und besonders in die Autobahnen investiert. Hier hat Polen tatsächlich Nachholbedarf: Die schlechte Anbindung vieler Städte ist Umfragen zufolge das größte Ärgernis für Investoren aus dem Ausland.

Die geplante Einführung des Euro hat Premierminister Donald Tusk unterdessen auf frühestens 2015 verschoben. Denn wegen der eigenen Wirtschaftsstärke hat sich die Stimmung im Land gewandelt. Nach einer Umfrage des polnischen Marktforschungsinstitutes CBOS sprachen sich im April nur noch 41 Prozent der Befragten für die europäische Währung aus, vergangenes Jahr waren es noch 52 Prozent. Um die Eurokriterien zu erfüllen, muss Donald Tusk ohnehin zunächst das horrende Staatsdefizit in den Griff bekommen. Um die Haushaltslöcher zu stopfen, verkauft die Regierung gerade ihre Anteile an rund 800 Unternehmen – darunter auch ihre Beteiligung an der Warschauer Börse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2010)

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