Russland: Brände kosten jede Menge Wachstum

(c) EPA (MAXIM SHIPENKOV)
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Noch wagt kaum jemand genaue Berechnungen über die finanziellen Folgen der monatelangen Dürre und der verheerenden Brände in Russland. Aber allein vorläufige Schätzungen gehen auf über 300 Milliarden Dollar.

Moskau. Auch wenn der sprichwörtliche Fluch über den Monat August in Russland manchmal zum Mythos aufgeblasen wurde, im Jahr 2010 hat er das Land mit einer Wucht getroffen, die ihresgleichen sucht. Über einen Monat nach Beginn der verheerenden Waldbrände stellt sich zwar das zuständige Katastrophenschutzministerium ein umstrittenes Zeugnis aus, in der Verhütung und Bekämpfung der Brände erfolgreich gewesen zu sein und viereinhalbtausend Dörfer vor den Flammen gerettet zu haben.

Über einen Monat nach Beginn der Katastrophe aber bleiben immer noch weit über 100 Brandherde aktiv, wie etwa auf Satellitenaufnahmen unter http://fires.kosmosnimki.ru zu sehen ist. Für endgültige Schadensberechnungen ist es also auch zu Beginn des September noch zu früh. Aber auch bei vorläufigen Angaben hält sich das offizielle Russland zurück oder nennt offensichtlich geringe Summen. Auf zwölf Mrd. Rubel (etwa 310 Mio. Euro) belaufe sich der Gesamtschaden, den russische Regionen erlitten hätten, erklärte Katastrophenschutzminister Sergej Schojgu vor gut einer Woche.

Dabei hat Schojgu eigenen Worten zufolge den Schaden der zerstörten Waldflächen nicht einberechnet, sondern lediglich die Kosten für Brandbekämpfung und den Wiederaufbau abgebrannter Häuser berücksichtigt.

Erste Schätzungen von Experten hingegen liegen um ein Vielfaches darüber. Schon vor drei Wochen haben Sachverständige in der Zeitung „Kommersant“ die Folgen der Hitzewelle im Juli und der darauf folgenden Brände auf 11,5 Mrd. Euro beziffert, was das Wirtschaftswachstum heuer um einen Prozentpunkt verringern würde. Dabei seien nur die kurzfristigen Folgen berechnet, langfristige Schäden durch die Zerstörung der Umwelt seien nicht abzusehen.

Hätte es Dürre und Brände nicht gegeben, würde Russlands Wirtschaft nach dem vorjährigen Einbruch von 7,9Prozent dieses Jahr um 4,4 bis 4,7 Prozent wachsen, meint Vizewirtschaftsminister Andrej Klepatsch. Aufgrund der Katastrophe jedoch werde das BIP nur um vier Prozent zulegen.

Allein die Folgen der Dürre im Juli sind fatal. Die Getreideernte ging von den vorjährigen 97Mio. Tonnen auf etwa 63 Mio. Tonnen zurück. Zwar kann Russland aufgrund ausreichender Vorräte den Eigenbedarf decken, aber der Getreideimport könnte auf drei Mio. Tonnen steigen – ein Volumen, wie seit 2001 nicht. Vor allem aber kommt das bis Jahresende verhängte Exportverbot die Agrarunternehmen teuer zu stehen und birgt die Gefahr, dass Russland, zuletzt drittgrößter Weizenexporteur der Welt, mühsam eroberte Weltmarktanteile auf längere Sicht verliert.

Schon muss die Regierung kapitalschwachen Agrarunternehmen mit Milliardenhilfen unter die Arme greifen. Und schon hat der Ernterückgang zu Preissteigerungen im Inland geführt. In 45 Regionen des Landes sind die Preise für wichtige Waren teils weit über 30Prozent binnen eines Monats gestiegen, sodass die Regierung laut neuem Handelsgesetz das Recht hätte, Preisobergrenzen festzulegen.

Inflation beschleunigt sich

Noch will Moskau erst auf die neuen Statistikdaten am Wochenende sowie die Expertise des Kartellamtes warten. Im Wirtschaftsministerium wurde die Inflationsprognose für 2010 jedoch auf 7,5 bis 7,8 Prozent angehoben.

Im Vergleich zu den Folgen der Waldbrände sind dies Peanuts. Mindestens 25.000 Dollar Schaden pro abgebranntem Hektar schätzt Alexej Simenko von der Nichtregierungsorganisation „The Biodiversity Conservation Center“. Seine Berechnung, die er vorige Woche in Moskau präsentierte, stütze sich auf die aktuellen Nutzholzpreise sowie auf die Kosten für das Wiederaufforsten der Waldflächen. Geht man also von den Daten des Internationalen Zentrums für Brandmonitoring aus, das in Russland 2010 insgesamt zehn bis zwölf Mio. Hektar an abgebrannter Fläche zählt, so beträgt der diesbezügliche Schaden laut Simenko „mehr als 300 Mrd. Dollar“.

Auf einen Blick

Belastete Wirtschaft: Die Brände führen zu deutlich steigenden Preisen und Ausfällen in der russischen Land- und Forstwirtschaft. Die Schäden werden auf über elf Mrd. Dollar geschätzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2010)

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