Rumänische Beamte: "Vertrauen nicht mal uns selbst"

(c) AP (VADIM GHIRDA)
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1,4 Millionen rumänische Beamte verdienen seit heuer ein Viertel weniger. Nun pendelt ihr Leben zwischen Protest und Zweitjob, ein Tag Streik beeindruckt niemanden mehr. Bukarest ringt derweil um neues IWF-Geld.

Bukarest. „Ein Tag Streik beeindruckt niemanden mehr“, sagt Adriane Piele. Darum kümmert sich die 42-jährige Volksschullehrerin auch an diesem Mittwoch lieber um ihre Schüler im Bukarester Bezirk Domenii, als mit zehntausend anderen gegen das Sparpaket der Regierung zu protestieren. Dabei hat die Koalition auch ihr, wie allen 1,37 Millionen Beamten im zweitärmsten EU-Land, das Gehalt um ein Viertel gekürzt, um das Budgetdefizit in den Griff zu bekommen. Das soll weitere Zahlungen aus einem 20 Mrd. Euro schweren Notkredit von IWF, EU und Weltbank sichern, der nötig geworden war, als die rumänische Wirtschaftsleistung im Vorjahr um 7,1 Prozent sank. 130.000 Beamte müssen gehen, so die Forderung des IWF. 19.000 sind schon weg.

Seit dem Frühjahr bringen Streiks den zähflüssigen Bukarester Verkehr regelmäßig zum Erliegen. Genutzt hat es wenig. Die Gewerkschaften sind zerstritten, boykottieren sich gegenseitig. Auch diesmal kamen nur halb so viele wie erhofft.

Lehrer für 235 Euro im Monat

Adriane Piele kümmert all das wenig. Seit sie nur noch 1000 Lei (235 Euro) im Monat verdient, hat sie alle Hände voll zu tun, um ihre Familie zu versorgen. Denn wesentlich billiger als in Wien ist ein Leben in Bukarest nicht. „Jeder muss sich einen Zweitjob suchen“, sagt sie. Die Lehrerin entschied sich für das Unternehmertum und bietet private Nachmittagsbetreuung in der Schule an. Ihre Kollegen verdienen sich als EDV-Techniker oder Journalisten ein Zubrot. Auch ihr Sohn wird nun neben seinem Studium arbeiten.

Andere haben weniger Glück: Aposto arbeitet seit 16 Jahren bei der Bukarester Polizei. Seit den Gehaltskürzungen regelt er den Verkehr mit einem Viertel weniger Engagement als früher. Einen Zweitjob kann er legal nicht annehmen. „Nur Dichter oder Maler“, könne er werden, erzählt der 38-jährige Familienvater. Vor fünf Jahren noch waren seine Aussichten glänzend. Die Löhne stiegen in den Boomjahren jährlich um 25 Prozent, gerne gab die Bank einen Kredit zur Erfüllung seines Traums vom Eigenheim. Heute macht ihm die Rückzahlung der Raten Probleme – und damit auch den Banken, die im ersten Halbjahr 2010 zehn bis 14 Prozent aller Kredite abschreiben mussten.

„Niemand will uns Geld geben“

„Kurzfristig“ werde das Sparpaket nicht nur für die Menschen, sondern auch „für die rumänische Wirtschaft negative Folgen haben“, sagt Ionut Dumitru, Chefökonom der RZB in Rumänien und Berater des Finanzministeriums zur „Presse“. „Der Konsum wird weiter zurückgehen.“ Mittelfristig sieht aber auch er keinen anderen Weg. Neben dem Beamtenapparat sei auch das Pensionssystem unfinanzierbar. Effektiv gehen die Rumänen heute im Schnitt mit 55 Jahren in Pension. Der Versuch, die Pensionen zu kürzen, wurde vom Höchstgericht gekippt. Stattdessen erhöhte die Regierung die Mehrwertsteuer von 19 auf 24 Prozent.

Dumitru ortet aber noch mehr Baustellen in seinem Land: Die Steuermoral sei in keinem anderen Staat der EU so schlecht wie hier; von 30 Mrd. Euro, die das junge EU-Mitglied bis 2013 an Förderungen aus Brüssel abholen könnte, blieben 92 Prozent unangetastet. Auch die ausbleibende Privatisierung vieler Staatsfirmen wird von manchen Ökonomen kritisiert.

Borbely Karoly, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, will davon auf Anfrage der „Presse“ nichts wissen. Lediglich Minderheitsbeteiligungen wie bei Petrom sollen verkauft werden und bis zu vier Mrd. Lei in die Kassen spülen.

Die Regierung setzt indessen weiter auf den IWF. Bis der Kredit im März abläuft, will Präsident Traian Basescu einen neuen in der Tasche haben. 5,9 Mrd. Euro wären allein nötig, um das heurige Budgetloch zu stopfen. Im Oktober sollen die Verhandlungen beginnen.

„Wir können aber vom IWF kein Geld borgen, um wie bisher die Löhne zu bezahlen“, bremst Karoly die Erwartungen. Stattdessen soll das Abkommen Investoren Stabilität signalisieren. Frisches Geld hätte das Land tatsächlich nötig. Die Direktinvestitionen aus dem Ausland stürzten seit 2008 von zehn auf heuer bisher 3,5 Mrd. Euro ab. Pläne der Opposition, das Kabinett von Emil Boc im Oktober zu stürzen, sorgen für zusätzliche Unruhe.

„Niemand will uns Geld geben“, klagte Basescu am Dienstag im Parlament. Der IWF soll den Mangel an Vertrauen im Ausland beseitigen. Selbst wenn das gelingt, bleibt das Problem im Land bestehen. Sechs Minster mussten kürzlich gehen, weil die Zustimmung der Bevölkerung zur Regierung schwand. Geändert hat der Wechsel nicht viel. „Wir vertrauen niemanden“, sagt Aposto. „Nicht mal uns selbst.“

Prag/Bratislava (tha). Für tschechische Verhältnisse war die Protestkundgebung riesig und übertraf auch die optimistischsten Erwartungen der Gewerkschaften selbst: Auf 45.000 schätzten Polizeisprecher die Zahl der Demonstranten am Nachmittag. „Sparen ja, erwürgen nein!“ war auf eines der Transparente geschrieben. Zusätzlich prangten an den Türen unzähliger Behörden, deren Mitarbeiter am Protesttag nicht arbeitsfrei bekamen, Solidaritätsbekundungen mit dem Massenprotest.

Tschechiens Staatsbedienstete kritisieren, dass sie die Hauptlast des rigorosen Sparprogramms tragen müssten. Zwar will die Regierung die Ausgaben für den öffentlichen Dienst „nur“ um zehn Prozent kürzen. Mangels ausreichender Ideen soll das vor allem die Gehälter betreffen. Nach Gewerkschaftsberechnungen ergeben sich daraus Gehaltskürzungen von mindestens zehn bis 43Prozent für einzelne Betroffene.

Ungeachtet der Proteste beharrten Premier Petr Nečas und Innenminister Radek John am Mittwoch auf ihren Sparplänen, die sie allerdings erst am Abend im Detail fixieren wollten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2010)

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