Autos in Russland: Alles Lada, oder was?

(c) REUTERS (RIA Novosti)
  • Drucken

Der russische Automarkt nimmt an Fahrt auf. Davon profitieren in erster Linie heimische Hersteller. Ausländische Konzerne werden mit Schutzzöllen belegt und zur Produktion im Inland angehalten.

Moskau. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: Russlands Premier Wladimir Putin fährt mit seinem gelben Lada Kalina durch Ostrussland. Erst Videos auf YouTube zeigten, in welchem Konvoi Putin diese Fahrt vor zwei Wochen unternahm: Über hundert Fahrzeuge mit Wachpersonal begleiteten ihn, die meisten davon kamen aus dem Ausland. Und weil man dem Lada Kalina dann auch nicht ganz traute, fuhren zwei Ersatzexemplare gleicher Farbe mit, einer davon auf einem Abschleppwagen. Der Fernsehzuschauer wusste davon freilich nichts. Er sah nur Putin im Lada.

„Kauf russisch“, lautet der Slogan. Nur wer ein einheimisches Erzeugnis bevorzugt, ist ein wahrer Patriot. Allein der russische Platzhirsch Avtovaz konnte in den ersten acht Monaten dieses Jahres mit 317.693 Fahrzeugen um 32 Prozent mehr absetzen als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, wie aus der Statistik der Association of European Businesses (Aebrus) hervorgeht. Und überhaupt zieht der russische Automarkt nach seiner Berg- und Talfahrt wieder an.

Im Kaufboom bis 2008 war Russland mit einer Jahresverkaufszahl von 2,8 Millionen Autos zum zweitgrößten Automarkt Europas aufgestiegen, ehe der Absatz im Vorjahr um die Hälfte einbrach. Von diesem tiefen Niveau ausgehend hat der Verkauf heuer um 51 Prozent zugelegt. Bis Jahresende könnten in Summe 1,75 Millionen Fahrzeuge abgesetzt werden. 2013 soll das Vorkrisenniveau wieder erreicht sein. Der veraltete Fuhrpark zwinge zu dieser positiven Annahme, meint Stanley Root von PricewaterhouseCoopers. Genauso wie die relativ geringe Marktpenetration und die steigenden Löhne. „Russland zieht die globale Autoindustrie nach oben“, titelte die Zeitung „Nesawisimaja Gaseta“ kürzlich.

Schutzzölle könnten steigen

In Wahrheit will Russland die eigene Industrie aus dem Sumpf ziehen. Dass der Lada derzeit wieder stärker nachgefragt wird, hat weniger mit seiner Qualität denn mit den Krisenbekämpfungsmaßnahmen der russischen Regierung zu tun, von denen in erster Linie der Hersteller Avtovaz profitiert. Zum einen durch staatlich geförderte Autokreditprogramme. Zum anderen durch die Abwrackprämie, für die 2011 rund 350 Mio. Euro budgetiert worden sind und die jenen Käufern zugute kommt, die ein in Russland gebautes Fahrzeug erwerben. Hinzu kommen staatlichen Schutzzölle.

Letztere wurden im Vorjahr von 25 auf 30 Prozent erhöht. Künftig könnten sie noch weiter ansteigen, ließ Putin ausrichten. „Wir sind ja kein Mitglied der Welthandelsorganisation (WTO)“, sagte er zur Begründung: „Wir können uns das erlauben.“ Diese Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Denn nach den Bedingungen, die mit der WTO ausverhandelt wurden, müsste Russland die Zölle binnen sieben Jahren halbieren.

Mit der Erhöhung der Abgabe will Putin ein Programm umsetzen, das er seit Jahren verfolgt: Russland soll sich weitgehend selbst mit Autos versorgen. Mit den Zöllen sollen also weniger einheimische Produzenten geschützt als vielmehr ausländische Autobauer zu einer Betriebseröffnung in Russland bzw. zu einer weiteren Lokalisierung ihrer Produktion animiert werden.

„Putin agiert wie andere Emerging Markets auch“, erklärt Juli Matevosov, Autoanalyst der Investmentgesellschaft Aton. „Die Zölle sind ein wirksames Druckmittel für Verhandlungen mit ausländischen Konzernen.“ Das Wort Verhandlungen ist hier jedoch leicht übertrieben. Denn Russland verschärft einfach die Bedingungen, unter denen ausländische Konzerne ihre Komponenten einführen und montieren dürfen.

Mehr Produktion im Inland

Die bisherigen Regeln waren 2005 aufgestellt worden. Emsig eröffneten die Ausländer damals ihre Werke. General Motors und Ford fertigen hier, auch Renault, Nissan und Toyota, Peugeot, Citroën und Volkswagen. Im nördlichen St. Petersburg und in der Stadt Kaluga nahe Moskau wachsen neue Autocluster aus dem Boden, ebenso in der muslimischen Teilrepublik Tatarstan. „Die Haupttendenz ist, dass der Anteil der in Russland produzierten ausländischen Marken zunimmt“, erklärt Sergej Zelikov, Chef von Avtostat. Heuer werde der Anteil 35 Prozent, 2012 bereits 40 Prozent ausmachen.

Nach den Vorstellungen Putins sollen internationale Hersteller Produktionskapazitäten für 300.000 Autos pro Jahr bereitstellen und ein Entwicklungszentrum in Russland aufbauen. Einer der Hintergründe: Der Pferdefuß der russischen Automobilindustrie ist das Fehlen qualitativer Zulieferer. Damit sich westliche Autozulieferer hier ansiedeln, sind vorzeigbare Produktionskapazitäten notwendig.

Die Ausländer fügen sich den Vorgaben. Zu wichtig ist der Markt. Wer sich sanftere Übergangsregeln wünscht, wie kürzlich VW-Chef Martin Winterkorn, blitzt damit bei Putin ab. Dabei hat VW noch die besten Trümpfe in der Hand. Bislang ist das Unternehmen der erste westliche Autokonzern, der ohne russischen Partner den vollwertigen Produktionszyklus in Russland schafft. Andere Hersteller setzen auf Gemeinschaftsunternehmen.

Nach und nach freilich werden die russischen Modelle zugunsten westlicher Fahrzeuge von den Straßen verdrängt. So wie bei Putins Fahrt im Konvoi durch Ostrussland: Die auf YouTube gezeigte Vollaufnahme bot einen Vorgeschmack darauf, wie die Zusammensetzung des russischen Fuhrparks künftig aussehen wird. Mit dem gelben Lada Kalina bewarb der Premierminister ein auslaufendes Übergangsmodell.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.