Russland: Modernisierung bleibt aus

Russland Modernisierung bleibt
Russland Modernisierung bleibt(c) AP (ALEXEI VLADYKIN)
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Russische Firmen sind damit beschäftigt, wenigstens auf dem Binnenmarkt zu bestehen. Die wenigsten Firmen interessieren sich für ausländische Märkte. Mit der Krise trat der Rückstand klar zutage.

Moskau. Die Modernisierungsrhetorik des russischen Präsidenten Dmitrij Medwedjew ist gut und schön. Die Realität in den Betrieben des Riesenreichs jedoch sieht völlig anders aus. Zu diesem Ergebnis kommt die größte russische Bank Sberbank in einer Studie. Wie aus ihr hervorgeht, befindet sich die russische Industrie 20 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion erst mitten im Anfang einer Modernisierung.

Über zwei Drittel der 700 befragten Unternehmen bewerten ihre Anlagen als mittelmäßig oder schlecht. Lediglich ein Viertel hat in den vergangenen fünf Jahren eine umfassende Modernisierung vollzogen, 30Prozent zum letzten Mal während der Sowjetzeit. In den kommenden drei Jahren wollen 60 Prozent in Anlagen investieren. Wiewohl ein solcher „Austausch der Werkbänke“, wie Ökonomen in der Zeitung „Wedomosti“ kommentieren, keine Umsattelung auf eine technologisch neue Produktionskette und daher noch keine Modernisierung sei.

Nicht konkurrenzfähig

Ein knappes Jahrzehnt ölgetriebenen Wirtschaftsbooms hat die Notwendigkeit der Erneuerung kaschiert. Der hohe Ölpreis hat zur Freude der ausländischen Lieferanten einen starken Importdruck nach sich gezogen, durch die Aufwertung des Rubels konnten die einheimischen rohstofffernen Sektoren kaum konkurrenzfähig produzieren.

Mit der Krise trat der Rückstand klar zutage. Und heute werden schnell wachsende Tarife, die Steuern und das nicht ausreichend qualifizierte Personal als Modernisierungshindernisse ins Treffen geführt. Auf dem globalen Wettbewerbsindex steht Russland stabil auf Platz 63 unter 139 Ländern. Der Industrie gehe es daher nach wie vor nur darum, sich wenigstens auf dem Binnenmarkt zu halten, was gelinge, solange die Bevölkerung arm sei, erklärt Sergej Zuchlo, Ökonom des Moskauer Gajdar-Instituts. Laut Sberbank-Umfrage hegen nur wenige den Wunsch, ins Ausland zu expandieren. Immerhin noch 19Prozent haben die postsowjetischen GUS-Staaten im Auge, über den GUS-Raum hinaus aber blicken gerade mal neun Prozent der Befragten.

Wenige Konzerne expandieren

Offenbar hat sich die im vergangenen Jahrzehnt viel bemühte internationale Expansion von vornherein auf einige wenige Großkonzerne aus dem Rohstoffbereich beschränkt. Gazprom demonstriert den Wunsch nach wie vor, private Ölkonzerne auch, weil sie im Inland durch hohe Steuern und die staatliche Konkurrenz eingeschränkt werden. Stahlkonzerne, die vor der Krise wie wahnsinnig auf Pump im Westen oft teuer zugekauft haben, ziehen sich seit der Krise wieder zurück.

Die meisten Betriebe jedoch – das zeigt die Studie – schielten bislang noch nie ins Ausland, und viele haben auch in Russland selbst aufgrund eines speziellen Segmentes oder Protektionismus noch nie mit ausländischer Konkurrenz zu tun gehabt. Zu ihrem eigenen Leidwesen, wie die Studie eruierte. Denn wer die Konkurrenz erfahren hat, hat auffällig häufiger und umfangreicher in Technologie investiert. Zu den führenden Staaten durch Modernisierung aufzuschließen, ist das eine. Mit Innovation – ein zweites Schlagwort Medwedjews – global auch den Ton anzugeben, das andere. Von der Wichtigkeit der Innovation sind bisher nur zehn Prozent der Betriebe überzeugt. Dennoch habe Russland grundsätzlich das Potenzial, den Übergang zu einer Innovationsökonomie zu schaffen, erklärt Sergej Guriev, Rektor der New Economic School.

Wo Innovation stattfindet, da wird sie zu zwei Dritteln vom Staat finanziert, bemängelt eine Studie der OECD. Der Staat aber würde nach alter sowjetischer Manier entkoppelt von den Bedürfnissen der Realwirtschaft und damit wenig effizient forschen lassen. Das abgeschlossene System locke weder Know-how noch Spezialisten ins Land. Im Gegenteil, der Weggang der klügsten Köpfe halte an.

Auf einen Blick

Die russische Regierung will die Industrie modernisieren. Doch die Realität in den Betrieben sieht anders aus. Laut einer Umfrage der russischen Sberbank bewerten über zwei Drittel der 700 befragten Firmen ihre Anlagen als mittelmäßig oder schlecht. Nur wenige Unternehmen hegen den Wunsch, ins Ausland zu expandieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2011)

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