Energie: Heiße Phase im Pipeline-Wettstreit

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Energie Heisse Phase PipelineWettstreit(c) EPA (ALEXEY DRUZHINYN)
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South Stream versus Nabucco: Je näher ernsthafte Richtungsentscheidungen über die Zukunft des Gastransportes rücken, umso offensichtlicher wird der erbitterte Konkurrenzkampf.

Moskau. Lange haben Russland und die EU glauben gemacht, dass die geplanten Gaspipelines South Stream und Nabucco keine Konkurrenten seien. Je näher freilich der Zeitpunkt ernsthafter Richtungsentscheidungen rückt, umso mehr tritt der erbitterte Wettkampf zutage.

So geschehen Ende der Vorwoche. Kurz bevor in Sachen der von der EU propagierten Nabucco im Oktober eine wegweisende Entscheidung fallen sollte, hat das von der russischen Gazprom angeführte Konsortium zum Bau der South Stream am Freitag einen wichtigen Pflock eingerammt. Die Anteilseigner – neben Gazprom die deutsche Wintershall, die italienische Eni und die französische EdF – haben eine verbindliche Aktionärsvereinbarung unterzeichnet.

Diese beinhaltet den Bau jener 900 Kilometer langen Verbindungsleitung durch das Schwarze Meer, über die russisches Gas aus dem russischen Hafen Noworossijsk nach Bulgarien und weiter zum Verteiler nach Wien fließen soll. Die endgültige Investitionsentscheidung ist für spätestens Ende 2012 vorgesehen, der Bau der Pipeline für 2013. Laut Plan würde Ende 2015 der erste Strang mit einer Kapazität von 15,75 Mrd. Kubikmeter in Betrieb gehen, die restlichen drei Stränge würden bis 2018 folgen. Die angepeilte Gesamtkapazität von 63 Mrd. Kubikmetern entspräche dem Siebenfachen des österreichischen Jahresverbrauchs.

Russland will Dominanz ausbauen

Von einem „wichtigen Meilenstein“ sprach Marcel Kramer, CEO von South Stream. Der „Meilenstein“ liegt für Russland auf dem Weg zum Ziel, die Position des dominanten Lieferanten für die EU auszubauen und zugleich den konfliktreichen Transit durch die Ukraine zu verringern. So war es nicht verwunderlich, dass der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch umgehend vorschlug, die Pipeline nicht durch das Schwarze Meer, sondern über die Südukraine zu legen und damit die Baukosten zu reduzieren. Gazprom winkte ab.

Auch die neue Nord-Stream-Pipeline durch die Ostsee nach Deutschland, durch die ab November und später insgesamt 55 Milliarden Kubikmeter Gas fließen werden, soll Russland vom ukrainischen Transit befreien.
Der Effekt freilich ist bemerkenswert: Fortan nämlich besteht ein horrender Überschuss an Leitungskapazitäten für russisches Gas nach Europa, wie Michail Kortschemkin, Direktor von East European Gas Analysis, vorrechnet: Allein mit den bestehenden Pipelines und Nord Stream könnten 255 Mrd. Kubikmeter nach Europa transportiert werden, obwohl etwa für die Jahre 2020 bis 2025 – gleich wie derzeit – eine vertragliche Abnahme von maximal 160 Mrd. Kubikmeter zugesichert sei.

Nicht die Möglichkeit, dass sich die starke russische Pipeline-Lobby mit der mindestens 15,5 Mrd. Euro teuren South Stream verkalkulieren könnte, ruft die Europäer nun mehr denn je auf den Plan. Die EU fürchtet, dass die Russen Nabucco hintertreiben könnten.

EU will Mitspracherecht

Der Sinn von Nabucco wäre, mit Gas aus Aserbaidschan, Turkmenistan und Irak Europas Abhängigkeit von Russland wenigstens etwas zu reduzieren. Daher drohte EU-Energiekommissar Günther Oettinger, der künftig der EU eine Mitsprache beim Abschluss von Lieferverträgen aus Russland sichern will, dieser Tage Gazprom mit Problemen bei Langfristverträgen, sollten die Russen Druck auf potenzielle Alternativlieferanten ausüben.

Konflikt spitzt sich zu

Die rhetorische Zuspitzung erklärt sich mit dem derzeit kritischen Zeitpunkt für Nabucco, die dem neuen Plan nach ab 2017 stehen und letztlich 31 Mrd. Kubikmeter transportieren soll. Bislang gibt es keine verbindlichen Lieferzusagen. Nun aber soll im Oktober, spätestens aber bis Jahresende, die Entscheidung fallen, ob die ab 2017 startende Förderung aus dem aserbaidschanischen Riesenfeld Schah-Deniz 2 der Nabucco mit Lieferziel Wien zugeschlagen wird oder einer der beiden europäischen Konkurrenzpipelines namens ITGI und TAP nach Italien.

Dass Aserbaidschan ausreichend Gas, und zwar 2,55 Billionen Kubikmeter, hat, wurde durch die vorwöchige Entdeckung eines Großfeldes untermauert. Aber für Nabucco soll auch in Turkmenistan zugekauft werden, dafür braucht es aber eine Pipeline durch das Kaspische Meer. Die Ereignisse überschlagen sich. Erst dieser Tage haben die EU-Staaten die EU-Kommission mit koordinierten Verhandlungen mit den potenziellen Lieferländern beauftragt. Russland reagierte umgehend über seinen EU-Botschafter, der daran erinnerte, dass eine solche Pipeline die Zustimmung aller fünf Anrainer des Kaspischen Meeres brauche.

Eine Entscheidung naht

Die Entscheidung jedenfalls naht und treibt den Preis für die Türkei, wie Kortschemkin anmerkt: Das Land am Bosporus dient nicht nur zum Transit für Nabucco, es hat auch noch zu entscheiden, ob es South Stream die Baugenehmigung in seinen Hoheitsgewässern im Schwarzen Meer erteilt.

Auf einen Blick

Wettlauf um den Gastransport. Vergangenen Freitag erreichte die von Russland forcierte Pipeline South Stream mit einer verbindlichen Aktionärsvereinbarung einen Meilenstein. Das ruft die EU mit dem Konkurrenzprojekt Nabucco auf den Plan. Die Entscheidung, wer das Rennen macht, naht. Die Nerven liegen blank.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2011)

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