Russland: Politisches Risiko bremst Aktienrallye

Russland Politisches Risiko bremst
Russland Politisches Risiko bremst(c) AP (Ivan Sekretarev)
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In die Schwellenländer fließt wieder Geld. Die unsichere Lage vor der Präsidentenwahl in Russland und die Korruption bilden jedoch Risken, die Investoren scheuen.

Moskau. So sehr Russland ständig auf seine Einzigartigkeit pocht, bildet es zumindest auf dem Aktienmarkt die internationalen Trends weitgehend nach. Tat es dies jedoch bisher meist mit stärkeren Ausschlägen in beide Richtungen, so ist die Tendenz im Moment weniger aufgeregt. War der Leitindex RTS im August 2011 von 1703 auf 1217 Punkte gerasselt, so zog er seit Jahresbeginn im internationalen Sog nach oben und notiert derzeit bei 1656 Punkten. Die zweite Plattform Micex, die derzeit mit dem RTS fusioniert und heuer selbst ihren Börsengang vollzieht, hat die Verluste vom August bereits wettgemacht, bleibt aber doch noch um fast 300 Punkte hinter dem Dreijahreshoch von 1859 Punkten im Frühjahr 2011 zurück.

Russland profitiert davon, dass Investoren, die 2011 aus den Schwellenländern abgezogen sind, ihr Geld nun zusehends auch wieder dorthin schicken. Laut einer Umfrage der Bank of America/Merrill Lynch unter 277 Portfoliomanagern haben im Februar 44 Prozent von ihnen die Schwellenländer im Portfolio aufgewertet, während dies im Jänner nur 20Prozent taten. Ein so starker Sprung war bisher nur ein Mal beobachtet worden.

Nicht mehr Topfavorit

Allein, Russland ist im Unterschied zu früher nicht mehr Topfavorit. Nach China, Brasilien, Türkei und Indonesien nimmt es nur Platz fünf ein. Von den 14 Mrd. Dollar, die laut Investmentfonds-Studien von „EPFR Global“ seit Jahresbeginn bis zum 10. Februar in Schwellenländer geflossen sind, hat Russland etwas mehr als eine Mrd. Dollar abgekriegt, während es 2011 um zwei Drittel mehr gewesen war.

In Russland mangle es an liquiden Sektoren. Diese seien auf Öl, Gas, Metall und Finanzen reduziert, sagt Igor Michailov, Portfoliomanager der Bank Uralsib, im Gespräch mit der Zeitung „Wedomosti“. Das Gros der Experten sieht den Hauptgrund für mehr Vorsicht in der politischen Situation. Am 4. März wählt Russland einen neuen Präsidenten. Zwar bezweifelt niemand, dass Premier Wladimir Putin zu einer dritten Amtszeit in den Kreml zurückkehrt. Die unerwarteten Massenproteste seit den Parlamentswahlen vom 4. Dezember haben ein als unerschütterlich geltendes Gefüge infrage gestellt.

„Ohne politische Risken könnte Russland ein Vielfaches mehr an Investitionen anziehen“, meint Angelika Genkel, Chefanalystin der Alfa-Bank. Das Phänomen des politischen Risikos ist völlig neu. Und die Proteste einer neuen Mittelschicht zwingen Putin zum Reagieren. Die beherrschende Frage ist, ob sich der 59-Jährige neu erfinden könne. Die ersten Antworten geben kein eindeutiges Bild. In seinem jüngsten Artikel zum Wirtschaftsprogramm gesteht er zu, dass die „systemische Korruption“ und die bisherige Bündelung der nationalen Ressourcen unter Staatskontrolle die Wettbewerbsfähigkeit behindern. Gleichzeitig plädiert er für einen temporären Ausbau des Staatskapitalismus. Erst danach werde es zur Privatisierung kommen.

Putin droht Großunternehmen

Die Geschwindigkeit in der Umsetzung des Privatisierungsprogrammes ist ein Thema, an dem die Zerrissenheit der Elite offensichtlich wird. Ein anderes ist die Frage neuer Steuern, um die wahlbedingt hohen Sozial- und Militärausgaben zu finanzieren. Aufsehen erregt, dass Putin den Großunternehmern die Rute ins Fenster gestellt hat, sie sollten für etwaige krumme Deals im Zuge der Privatisierung in den 90er-Jahren eine einmalige Nachzahlung leisten.

Die Gefahr besteht, dass Putin seine Reformschwäche fortführt und weiter auf den hohen Ölpreis setzt, obwohl das konsumgetriebene Wachstumsmodell dringend von einem investitionsgetriebenen abgelöst werden müsste, um gegen Schocks von außen resistenter zu werden. 84,5 Mrd. Dollar sind 2011 aus dem Land abgeflossen, weil Investitionen gescheut werden. Dennoch wuchs das BIP um 4,3 Prozent. Für heuer liegt die offizielle Prognose bei 3,7 Prozent, die des Internationalen Währungsfonds bei nur 3,3 Prozent. Morgan Stanley hingegen prognostiziert bis zu fünf Prozent: Wenn politisch alles ruhig bleibe, würden die Investitionen bald rasant steigen, der Konsum wachse ohnehin auf hohem Niveau. Beides werde vorwiegend durch Staatsausgaben stimuliert, wirft Julia Zepljajeva, Analystin von BNP Paribas, ein. Die historisch niedrige Inflation 2011 gebe eigentlich Spielraum für eine Zinssenkung, sie dürfte aber im zweiten Halbjahr wegen der Wahlgeschenke steigen.

Infrastruktur profitiert von Sportevents

Der Konsumsektor gilt für Investoren als attraktiv, wie die jüngste Rallye der Handelsketten O'Key oder Magnit zeigen. Interessant bleibt der Infrastrukturbereich, zumal Großveranstaltungen wie Olympia 2014 und die Fußball-WM zu stemmen sind.

Weil russische Titel überverkauft gewesen seien, würden sie im Vergleich zu anderen Schwellenländern mit 40 Prozent Abschlag gehandelt, erklärt Marianna Kozinceva von Morgan Stanley. Auf schnelle Auswirkungen des WTO-Beitritts setzen Investoren indes nicht. Dafür auf den Ölpreis. In Zeiten der Instabilität raten Banken wie die VTB 24 zu defensiven Aktien mit hohen Dividenden vor allem aus dem Öl- und Gassektor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2012)

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