Der amerikanische Albtraum

Putzen statt fertigen – für immer mehr schlecht ausgebildete Amerikaner gibt es nur mehr schlecht bezahlte Jobs.
Putzen statt fertigen – für immer mehr schlecht ausgebildete Amerikaner gibt es nur mehr schlecht bezahlte Jobs. REUTERS
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Statt vom Tellerwäscher zum Millionär, heißt es für manchen Amerikaner: vom gut bezahlten Industriearbeiter zum Mindestlöhner. Es gibt sie, die Verlierer der Globalisierung.

Schock und Unverständnis: Das waren in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch die gängigsten Reaktionen auf die Wahl von Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten – nicht nur in Europa, sondern auch an den urbanen Zentren der US-Küsten. Wie konnte jemand, der im Wahlkampf so viele Tabus gebrochen hatte, trotzdem in dieses wichtige und würdevolle Amt gewählt werden?

Es gibt eine Vielzahl an möglichen Antworten auf diese Frage, und wohl keine wird zu hundert Prozent richtig liegen. Eine wichtige Rolle hat aber in jedem Fall gespielt, dass Trump seinen Wählern mit dem Slogan „Make America Great Again“ eine Rückkehr in eine aus ihrer Sicht heilere Welt versprach. Ein Amerika der 1950er- und 60er-Jahre, in dem es für jedermann möglich war, nach der Highschool einen sicheren Job im lokalen Großbetrieb zu erhalten, mit dem auch ohne Uni-Abschluss ein schmuckes Haus und eine mehrköpfigen Familie finanziert werden konnten.


Idyll.
Ob es dieses idealisierte Idyll wirklich je großflächig gab und ob Trump es zurückbringen kann, dürfte dabei gar nicht so relevant gewesen sein. Entscheidend war vielmehr, dass er den Wunsch vieler Amerikaner danach aufnahm. Ein Gutteil dieses Wunsches ist schwer greifbarer gesellschaftspolitischer Natur, der Kern lässt sich aber an harten wirtschaftlichen Fakten festmachen: einem Verlust von Einkommen und Jobchancen, den die Bewohner der Industriegebiete des Rust Belt in US-Bundesstaaten wie Pennsylvania oder Ohio aufgrund der Globalisierung hinnehmen müssen.

Der US-Wirtschaftsnobelpreisträger Michael Spence hat sich das Thema schon vor einigen Jahren im Rahmen einer ausführlichen Studie angesehen und kam dabei zu einer Reihe von Feststellungen, die das Wahlergebnis von Dienstagabend vielleicht etwas weniger überraschend machen.

So schreibt Spence, dass die Auswirkungen der Globalisierung auf die Verteilung von Wohlstand und Jobs bis in die späten 1990er-Jahre noch verhältnismäßig gering waren. Billiglohnländer wie China produzierten zu dieser Zeit zwar schon einfache Textilien und andere Lowtech-Produkte. Für die Volkswirtschaften des Westens gab es aber genügend industrielle Branchen, in denen sie keine Konkurrenz aus den Schwellenländern befürchten mussten.

Mit der Zeit änderten sich die wirtschaftlichen Strukturen in den Schwellenländern jedoch – die dortigen Industrien stiegen die Wertschöpfungskette hinauf. „Heute produzieren Niedriglohnländer jene Produkte, die vor 30 Jahre noch ausschließlich in Industriestaaten hergestellt wurden“, so Spence.

Für die westlichen Volkswirtschaften als Ganzes war das ein lösbares Problem. Denn auch sie entwickelten sich weiter. Tausende neue Jobs wurden etwa in der IT-Branche geschaffen. In Summe wurden die Verluste am unteren Ende der Wertschöpfungskette durch die Zugewinne am oberen Ende sogar überkompensiert, so Spence. Für die westlichen Volkswirtschaften waren Globalisierung und Freihandel also ein Gewinn. Ebenso für die Volkswirtschaften der Schwellenländer, in denen Millionen aus bitterer Armut zu etwas Wohlstand gelangten.

Allerdings gab es auch Verlierer. Und zwar jene, die aufgrund mangelnder Qualifikation keinen höheren Job in der Wertschöpfungskette einnehmen konnten. „Gebildete Arbeitnehmer haben heute mehr Jobmöglichkeiten und verdienen auch mehr. Schlecht ausgebildete Arbeitnehmer müssen hingegen stagnierende Löhne und eine immer schlechter werdende Arbeitsplatzsituation hinnehmen“, schreibt Spence. So entstand der Nettozuwachs an Jobs seit 1990 zu 98 Prozent im sogenannten nicht handelbaren Bereich – also beim Staat und vor allem dem oft schlechter bezahlten Bereich persönlicher Dienstleistungen, die nicht durch Importe ersetzt werden können. Bei der Industrie stagnierte die Summe aller Jobs weitgehend, trotz Wachstum bei Bevölkerung und BIP. Spence schreibt dazu: „In der Vergangenheit nahm die US-Politik immer an, dass Wachstum und Beschäftigung Hand in Hand gehen würden. Und die Entwicklung der US-Wirtschaft bestätigte diese Erwartung auch. Inzwischen gehen Wachstum und Beschäftigung aber unabhängig voneinander.“


Einkommenslücke. Das gewerkschaftsnahe Institute of Economic Policy errechnete dazu in einer eigenen Studie, wie sich die Einkommenslücke zwischen Arbeitnehmern mit College-Abschluss und jenen ohne über die Zeit entwickelt hat: Verdienten Anfang der 1970er-Jahre College-Absolventen noch um 36,9 Prozent mehr als jene, die nur über einen Highschool-Abschluss verfügen, stieg diese Differenz bis Anfang dieses Jahrzehnts bereits auf 50,9 Prozent an. Zwar würden auch die Schlechtverdiener von den gesunkenen Preisen bei den in Niedriglohnländern hergestellten Produkten profitieren, schreibt Spence. „Diese indirekten Reallohngewinne werden aber nicht so klar gespürt wie stagnierende Löhne auf der anderen Seite.“

Die negativen Lohneffekte gehen dabei laut EPI deutlich über jene Branchen hinaus, die direkt vom internationalen Wettbewerb betroffen sind. Denn die Arbeiter, die in diesen Branchen ihre Jobs verloren haben, müssen oft geringere Einkommen akzeptieren, um in jenen Branchen Fuß zu fassen, die nicht durch ausländische Produzenten ersetzt werden können – beispielsweise dem Bau oder der Gastronomie. Dabei treten sie aber in Konkurrenz zu jenen, die bereits in diesen Branchen arbeiten, weshalb auch dort die Löhne stärker unter Druck geraten.

Eine Gemengenlage, die auch in Europa und Österreich von vielen Menschen immer stärker gespürt wird.

Zahlen

98Prozent aller seit 1990 in den USA geschaffenen Jobs waren beim Staat oder dem oft schlecht bezahlten Sektor persönlicher Dienstleistungen.

36,9Prozent mehr als ein Highschool-Absolvent verdiente ein College-Absolvent im Schnitt Anfang der 1970er-Jahre. Bis zum Anfang dieses Jahrzehnts stieg dieser Wert auf 50,9 Prozent an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2016)

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