Teures Getreide wird verfüttert und vertankt

Teures Getreide wird verfuettert
Teures Getreide wird verfuettert(c) Clemens Fabry
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Angesichts der Rekordpreise für Getreide ist Biosprit sehr umstritten. Allerdings: Es wird sechsmal so viel Getreide an Tiere verfüttert. Und der Fleischkonsum steigt.

Wien. Hitze, Dürre, ausbleibender Regen: Weltweit beklagen Landwirte drastische Ernteausfälle. Das zeigt sich auch an den Preisen. Am Freitag teilte die Weltbank mit, dass die Preise für Mais und Weizen allein zwischen Juni und Juli dieses Jahres um 25 Prozent gestiegen sind. Der von ihr erstellte „Food Price Index“ lag erstmals über dem bisherigen Höchststand vom Februar 2011. Besonders steil seien die Anstiege in Afrika gewesen. „Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Rekordpreise weltweit Menschen in ernste Gefahr bringen, indem sie sich nicht mehr ausreichend ernähren können“, kommentierte Weltbank-Chef Jim Yong Kim den Bericht.

Die Preissprünge seien hauptsächlich auf die Dürre in wichtigen Exportländern, darunter die USA, zurückzuführen, so die Weltbank. Doch sie dürften auch die erst jüngst aufgeflammte Diskussion über Agrosprit wieder anheizen. Kritiker machen den auf Biomasse basierenden Treibstoff für den rasanten Anstieg der Lebensmittelpreise verantwortlich. Ins Schussfeld der Kritik geriet dadurch zuletzt vor allem ÖVP-Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich, der Anfang Oktober die umstrittene Beimischung von Ethanol im Benzin von fünf auf zehn Prozent anheben will (E10).

Neun Prozent landen im Tank

Die Vertreter des Agrosprits verteidigen sich damit, dass der Anteil der Ethanolproduktion am gesamten Getreideverbrauch nur bei wenigen Prozent liege. Die Statistik gibt ihnen in diesem Punkt recht. So werden in Österreich gerade einmal neun Prozent des Getreides „versprittet“, weltweit liegt der Anteil sogar nur bei sechs Prozent (siehe Grafik).

„Die Biospritproduktion hat sich in den letzten zehn Jahren vervielfacht, allerdings von einem niedrigen Niveau“, sagt auch Ralph Südhoff, der für Österreich und Deutschland zuständige Vertreter des UNO-Welternährungsprogramms, zur „Presse“. Sie habe zwar eine spürbare Auswirkung auf die Nahrungsmittelpreise, allerdings gebe es einen anderen Sektor, der viel stärker dafür verantwortlich sei: die Fleischproduktion.

„Es wird sechsmal so viel Getreide an Tiere verfüttert wie zu Biosprit verarbeitet. Und das ist auch extrem ineffizient. Aus 7000 Kilokalorien Getreide werden nur 1000 Kilokalorien Fleisch“, so Südhoff. Dennoch habe sich die globale Fleischproduktion seit 1970 von 100 Millionen Tonnen pro Jahr auf 300 Millionen Tonnen pro Jahr gesteigert. Laut Schätzungen steigt sie in den nächsten Jahren um weitere 150 Millionen Tonnen, da auch in Schwellenländern immer häufiger Fleisch auf den Tellern landet. „Eine Fleischproduktion in diesem Ausmaß ist nachhaltig nicht machbar.“ Das bedeute, dass etwa Urwälder gerodet werden müssten, um dort Soja für das benötigte Kraftfutter anzupflanzen.

Den Grund für die stetige Zunahme des Fleischkonsums sieht Südhoff im niedrigen Preis. „Fleisch ist viel zu billig. Wir haben uns an absurde Preise gewöhnt, etwa, dass ein Kotelett im Supermarkt günstiger ist als ein Espresso im Kaffeehaus.“ Möglich sei das allein durch die starke Förderung der Landwirtschaft. Eine Reduktion des Fleischkonsums sei nur über einen weniger verzerrten Preis möglich. Dem stimmt auch Ignacio Pérez von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zu. „Die Subventionen halten die Preise für den Konsumenten niedrig.“ Die OECD fordert, dass direkte Subventionen für Bauern abgeschafft oder reduziert werden. Förderungen sollten sich darauf konzentrieren, bei Wetterkatastrophen wie extremer Hitze oder Regen helfend einzugreifen.

Dass der steigende Fleischkonsum per se ein Problem ist, glaubt Pérez aber nicht. Doch die Landwirtschaft müsse produktiver werden. Allein aus Asien werden in der nächsten Dekade 56 Prozent mehr Fleisch nachgefragt. „Der Bedarf kann gedeckt werden“, sagt Pérez. „Aber ohne Steigerung der Produktivität ist es sehr, sehr schwierig, die Menschen in 50 Jahren noch zu ernähren.“ Den großen Teil von diesem Zuwachs müssen die Entwicklungsländer schultern – denn in den Industriestaaten wächst die Produktion nur noch schwach: Erzeugte die weltweite Landwirtschaft in der letzten Dekade noch jährlich zwei Prozent mehr als im Jahr davor, werden es künftig nur noch 1,7 Prozent sein.

Politik soll Biosprit nicht fordern

Laut Ralph Südhoff vom UN-Welternährungsprogramm ist eines jedenfalls sicher: Die Zeit der ständigen Agrarüberschüsse ist vorbei. „Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts hat sich die Nachfrage der Produktion angenähert. Nun liegt sie in Jahren mit schlechten Ernten auch darüber“, so Südhoff. Wenn in dieser Phase auch neue Nachfrager wie Ethanolproduzenten in den Markt eintreten, sind Rekordpreise bei Lebensmitteln auch für die Zukunft programmiert. Pérez sieht das pragmatisch: „Die Nachfrage nach Biosprit ist da, daher ist Ethanol eine Realität, mit der man leben muss.“ Den Agrosprit allerdings politisch zu verordnen, „das ist nicht wünschenswert“.

Auf einen Blick

Weltweit wird sechsmal so viel Getreide an Tiere verfüttert wie zu Biosprit verarbeitet. Um 1000 Kilokalorien Fleisch zu erzeugen, braucht es 7000 Kilokalorien Getreide. Das sei ineffizient, kritisieren die Vereinten Nationen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2012)

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