Der Strom kommt aus der Flut

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Aus dem Meer könnte man genug Energie holen, um die ganze Welt mit Strom zu versorgen. Das größte Gezeitenkraftwerk steht in Südkorea, kommt aber zum Teil aus Österreich.

Wenn sich das Gelbe Meer bewegt, arbeiten die österreichischen Turbinen, angebracht zwischen China und Korea, mit Hochdruck. Sie sehen so ähnlich aus wie Windkrafträder, nutzen auch natürliche Bewegungen in ihrer Umgebung zur Energiegewinnung. Aber alles passiert unter Wasser. Wer nichts ahnt, käme beim unspektakulären Anblick kaum auf die Idee, dass hier seit zwei Jahren das stärkste Gezeitenkraftwerk der Welt operiert. An der Westküste Südkoreas, 40 Kilometer südlich der Hauptstadt Seoul, liegt die Anlage in Sichtweite.

In der Mitte eines zwölf Kilometer langen Damms sind Tore angebracht, die sich zweimal pro Tag öffnen und kräftig arbeiten. Die Kapazität von 254 Megawatt, etwa ein Viertel eines herkömmlichen Kohlekraftwerks, ist weltweit beispiellos und kann den Energiebedarf einer 500.000-Einwohnerstadt stillen. Das Sihwa Gezeitenkraftwerk funktioniert ohne Abgase, nur mit der Nutzung eines flüssigen Rohstoffs – Wasser.

„Das Projekt ist ein voller Erfolg“, sagt Jens Päutz zufrieden. „Alles wurde damals rechtzeitig fertig und die Turbinen und Generatoren arbeiten auch gut.“ Päutz ist Sprecher der österreichischen Firma Andritz Hydro, die für das Werk in Sihwa, das maßgeblich vom koreanischen Konzern Daewoo erbaut wurde, die elektromechanischen Anlagen beigesteuert hat. Damit führt Andritz Hydro eine Branche an, in der österreichische Unternehmen weltweit gut abschneiden, obwohl dem Land der Zugang zum Meer fehlt.

„Die Komponenten ähneln stark denen in Flusskraftwerken“, sagt Päutz. Und bei der Gewinnung von Energie aus seinen zahlreichen Flüssen und Gebirgsbächen ist Österreich traditionell erfahren. „Was das Projekt Shiwa eindeutig zeigt, ist die österreichische Weltführerschaft in der Wasserkraft“, sagt Michael Otter, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Seoul. „Hier hat Österreich schon sehr viel Erfahrung, unsere Qualität und unser Know-how werden weltweit geschätzt.“ Neben Andritz, das für Turbinen und Generatoren weltweit führend ist, stünden Unternehmen wie Voith, Siemens und zahlreiche kleinere Betriebe in Bereichen wie der Lamellentechnologie und diversen verwandten Dienstleistungen an der Spitze.


Ein See fault. Die Geschichte des Kraftwerks von Sihwa begann ironischerweise mit der Zerstörung der Umwelt. In den 1980er Jahren hatte Südkoreas Regierung begonnen, in der Region die Retortenstadt Ansan zu bauen. In dem Ort, der für 300.000 Einwohner konzipiert war, leben längst mehr als doppelt so viel. Rasch begann man damals vor der Küste mit Landgewinnung, um mehr Grundstücke verkaufen zu können. Als auch die Wasserversorgung an ihre Grenzen stieß, wurde ein Damm gebaut, der nutzbares Wasser vom Meer abschirmen und mit einer Straße obendrauf auch noch für einen besser geregelten Verkehr sorgen sollte. Nur kippte der künstliche See bald. 1994, ein Jahr nach Fertigstellung des Damms, begann der sogenannte Sihwasee, ohne Gezeiten und natürliche Zuflüsse, zu faulen.

Die Idee, den Damm dann für ein Gezeitenkraftwerk zu nutzen, lag nahe: Denn wegen seiner großen Fläche und der geringen durchschnittlichen Tiefe von 44 Metern bilden sich im Gelben Meer starke Gezeiten. Der Tidenhub, also die Differenz zwischen Höchst- und Tiefstand des Wasserspiegels, beträgt in der Asanbucht, von der der Sihwasee einst isoliert wurde, ganze acht Meter. Gezeitenkraftwerke können überall dort viel Strom erzeugen, wo die Strömung des Wassers sowie der Hub günstig sind.

Neben Südkorea besteht unter anderem in Kanada, Neuseeland, China, Indien, Japan, Irland und Russland solches Potenzial. Überhaupt könnte Tidenkraftwerken eine blühende Zukunft bevorstehen. „Um den Strombedarf zu decken und die Abhängigkeit von Öl und Gas zu reduzieren, werden weltweit sicher weitere Gezeitenkraftwerke gebaut werden“, schätzt Wirtschaftsdelegierter Otter. Denn die Gezeiten sind im Gegensatz zur Windkraft vorausberechenbar, und das Meer liefert erneuerbare Energie.

Aus Wellen und Gezeiten, also dem ständigen Wechsel zwischen Ebbe und Flut, könnte theoretisch sogar genügend Strom für die ganze Welt erzeugt werden. Rund 70 Prozent der Erdoberfläche besteht aus Wasser, laut einer Studie der Internationalen Energieagentur ist aber erst ein Fünftel der weltweit denkbaren Wasserkraft ausgenutzt. Global laufen bereits mehr als 150 Projekte zur meeresbasierten Energiegewinnung. Darunter finden sich etwa Konzepte, die mit Wärmepumpen aus den unterschiedlichen Temperaturen im Meer Energie holen oder hochentwickelte Bojen, die aus Wellen Energie ziehen können.

Das Gezeitenkraftwerk in Sihwa funktioniert anders. Die Strömung des Meeres bremst die riesige Anlage immer ein kleines bisschen ab und staut dadurch potenzielle Energie auf, die durch Turbinen unter Wasser und Generatoren in elektrisch nutzbare Energie umwandelt wird. Wie auch bei anderen Wasserkrafttechniken ist hier 80 Prozent der Energie auch nutzbar. Insofern ist Wasserkraft hocheffizient.

Es gibt aber auch Nachteile, gerade bei Tidenkraftwerken. Ohne Subventionen würden sie bisher kaum funktionieren, sie kosten etwa doppelt so viel wie ein herkömmliches Wasserkraftwerk. Zudem kommen immer wieder Bedenken von Umweltschützern, die durch die großen Propeller unter Wasser eine Beeinträchtigung der Tier- und Pflanzenwelt fürchten. Und auch die Frage der Effizienz ist doch nicht ganz so einfach.

Trotzdem wird weiterhin in Gezeitenkraftwerke investiert. Für alles, was kommt, ist man bei Andritz Hydro optimistisch. „Kein Betrieb der Welt hat die Referenz, die wir in Sihwa haben“, sagt Jens Päutz. An den nächsten Ausschreibungen will man auf jeden Fall teilnehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2013)

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