Andreas Lohner: „Wir können nicht alle nur Berater sein"

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Interview. 43 Jahre nach dem Verkauf der Lohner-Werke wagt Andreas Lohner eine Re-Industrialisierung der legendären Unternehmerfamilie.

Die Presse: Als Ihre Familie die Lohner-Werke an Bombardier verkaufte, waren Sie gerade 13 Jahre alt. Wie ist es, in einer Industriedynastie aufzuwachsen?

Andreas Lohner: Ich habe von der Sache nicht viel mitgekriegt. Ich war in der Schule und Fußball spielen, wie andere Kinder auch. Und mein Vater hatte eben eine Arbeit, er war Geschäftsführer von Rotax. Gesehen habe ich ihn bis zum Verkauf unter der Woche kaum. Natürlich wird man irgendwann in die Fabrik vom Großvater mitgenommen und der Werkmeister nennt dich Juniorchef. Aber das Einzige, was dich interessiert, ist die Fabrik, und was da passiert. Erst jetzt fallen mir immer wieder Sätze ein, die mein Vater damals zu mir gesagt hat.

Und zwar?

Ein Kernsatz meines Vaters war: Eine langfristige Rendite von zwei bis vier Prozent ist eine anständige Rendite. Es kann zwar Glücksphasen geben, in denen du bei 20 Prozent liegst. Aber wenn es dafür keinen plausiblen Grund gibt, ist irgendetwas an dem Geschäft faul. Er war immer sehr skeptisch gegenüber allzu schnellem Erfolg. Auch in der Zeit von Ludwig Lohner (Firmenchef um 1900, Anm.) gab es so einen Typen: Camillo Castiglioni. Er war sein Konkurrent, zeitweise haben sie aber auch gemeinsam Firmen besessen. Ein echter Hansdampf in allen Gassen, aber er machte alles nur auf Pump. Am Ende ist er verarmt irgendwo in Italien gestorben und hat fürchterlich viele Menschen in die Pleite mitgerissen. Wann immer Menschen in den Medien über den grünen Klee gelobt werden, wurde meine Familie sehr kritisch. Ich habe mir mein ganzes Leben keine Gedanken darüber gemacht, heute spielt es plötzlich eine Rolle.

Was hat sich nach dem Verkauf in der Familie geändert?

Es wurde nicht mehr darüber gesprochen. Das Kapitel war vorbei. Die Geschichte ist ähnlich, wie man sie aus der Computerindustrie kennt, in der ein Start-up schnell wächst und dann um Millionen verkauft wird. Alle klopfen einem auf die Schulter und sagen: „Der hat jetzt ausgesorgt." Aber eigentlich ist das kein schöner Schritt. Denn was ist das Geld letztlich wert? Mein Vater hat gewusst, dass der Verkauf richtig war, aber er hat bis zu seinem Lebensende immer wieder damit gehadert. Im Grunde gibt es nichts Schöneres, als zu arbeiten.

Warum hat sich die Familie entschlossen zu verkaufen?

Wir haben die Lohner-Werke 1970 an Bombardier verkauft. Die Rotax-Motoren liefen in der Nachkriegszeit sehr gut. Und die Bombardiers haben die Motoren zufällig für ihre Snowmobiles entdeckt. Ende der 1960er-Jahre war Bombardier schon unser Hauptkunde. Für die Kanadier war der Kauf ein logischer Schritt. Und der Preis hat gestimmt.

43 Jahre danach wagen Sie quasi die Re-Industrialisierung der Familie. Sie produzieren wieder unter dem Namen Lohner und gehen dabei zurück zu den Wurzeln. Der Lohner-Porsche war ja das erste Elektroauto. Ein großer Erfolg war das damals nicht. Sie bauen Elektroroller und -fahrräder. Warum soll das heute funktionieren?

Ich habe im Jahr 2008 die Marke Lohner zurückbekommen, und damit hatte ich fünf Jahre Zeit, um irgendetwas damit zu machen. Vorher habe ich meine Zeit bei Forrester Research verbracht, einem Marktforscher, der sich viel mit Megacities und Elektromobilität beschäftigt. Ich wusste also, dass das ein Thema ist. Gleichzeitig gibt es erstmals Signale, dass Kommunen ernsthaft überlegen, die notwendige Infrastruktur dafür aufzubauen. Ludwig Lohner war überzeugt von E-Mobilität. Gescheitert ist er damals, weil es keine Stromtankstellen gab und die Batterien zu schwach und zu teuer waren.

Im Grunde dasselbe Problem wie heute.

Das stimmt. Und ehrlich gesagt weiß ich auch nicht, was heute besser als damals ist. Es ist eine Wette auf die Zukunft. Aber das ist auch der Grund, warum ich den Stroler, das Elektrofahrrad, baue. Wenn keine Stromtankstellen kommen, wird es das Fahrrad trotzdem schaffen. Aber es gibt auch das andere Szenario: Amsterdam hat etwa 100 Ladestationen hingestellt und hatte sofort das Problem, dass es viel zu wenige Elektrofahrzeuge gab.

Stichwort Standortdebatte: Wieso produzieren Sie im Hochlohnland Österreich?

Österreich ist ein Hochlohnland, ja. Aber die Frage ist: Wo verlieren Unternehmen ihr Geld? Und da ist es wie beim Staat. Je größer Organisationen sind, desto größer werden die Strukturen, die viel kosten. Genau das wollte ich auslagern. In Asien gibt es viele Haken: Kopien, Qualität, die große Distanz. Das ist mir als Start-up zu gefährlich. Ich orientiere mich eher an der Idee von Frithjof Bergmann: An der Rückführung der Industrie an ihren Anfang: Handwerker sollen wieder die Möglichkeit haben, in ihrer Arbeit etwas zu entwickeln. Das geht nur in einer Manufaktur, in der der Einzelne viel Freiraum hat.

Haben Europas Industrielle heute dieselben Probleme wie Ihre Familie damals?

Im Grunde sind die Probleme sicher dieselben. Ein mittelgroßer deutscher Fürst, der Geld gebraucht hat, war wahrscheinlich genauso unangenehm wie ein griechischer Staat, der Geld braucht. Was heute anders ist: Was mir heute wirklich Sorgen macht, ist die Struktur unserer Gesellschaft. Man kann keine Gesellschaft haben, die nur aus Unternehmensberatern besteht. Mein liebstes Beispiel ist das Schweißen von Titan. Die Chinesen können das so billig, dass alle ihr Titan dorthin schicken und die Schweißer überall sonst den Job verlieren. Mit dem Effekt, dass es heute in keinem Land mehr Titanschweißer gibt. Wir haben eine Gesellschaft geschaffen, die in Eleganz untergeht. Firmen können ausweichen und in Asien produzieren und hier zu Billigstpreisen anbieten. Und dann wundert sich jemand darüber, dass es hier keine Jobs und kein Geld mehr gibt.

Sind die Kunden, die zu sehr auf den Preis achten, daran schuld?

Es ist nun einmal nicht möglich, immer nur das Billigste zu kaufen und trotzdem eine Pension mit 80 Prozent des Lohnniveaus zu wollen. Das kann sich nicht rechnen. Irgendjemand wird betrogen. Und interessanterweise ist es genau der, der immer so billig einkauft. Er optimiert zwar sein Einkommen, vernichtet aber auch einen Job um die Ecke.

Glauben Sie an die Re-Industrialisierung Europas, und ist Ihr Manufakturmodell ein Weg dahin?

Für mich ist es ein Weg. Bisher klappt es, und auf Sicht ist es möglich. Auch für Europa gibt es Positives zu berichten: So stehen etwa alle alten Lohner-Werke in Österreich noch und leben unter Bombardier voll auf. Langfristig mache ich mir um den Kontinent dennoch große Sorgen. Aber für uns haben wir ein paar Ideen.

Zur Person

Andreas Lohner (geb. 1957) ist ein Nachfahre der Industriefamilie Lohner. Nach Jahren in der IT-Welt reanimiert er heute die Lohner-Werke und baut Elektroroller und Elektrofahrräder. Damit geht er zu den Wurzeln des 1821 gegründeten Lohner-Imperiums zurück. 1900 kam der Lohner-Porsche, das erste Elektroauto, auf den Markt. 1959 kaufte die Familie die Rotax-Motorenwerke. 1970 verkaufte sie alles an Bombardier.

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