"Revolution": Privatleben vor Arbeit

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Studie. Fessel GfK-Studie zeigt radikalen Wandel in der Lebenseinstellung.

"Für mich als Sozialforscher ist das eine Revolution.“ Rudolf Bretschneider, Chef der Marktforschung Fessel GfK, meint damit Ergebnisse aus der jüngsten Lifestyle-Studie seines Instituts. Sie zeigen eine markante Änderung der Einstellung der Österreicher zu Arbeit und Beruf: Arbeit nimmt nicht mehr einen so zentralen Stellenwert ein wie früher, wird weit weniger mit Lebenssinn in Verbindung gebracht. Und die Priorität „Arbeit vor Privatleben“ hat sich umgekehrt.

Konkrete Aussagen aus diesem, der „Presse“ exklusiv vorliegenden Kapitel der repräsentativen Lifestyle-Studie 2007: Auf die Frage „Wie wichtig ist sinnvolle und befriedigende Arbeit für Ihre persönliche Lebensgestaltung?“ haben vor 20 Jahren noch 71 Prozent der Befragten mit der stärksten Zustimmung „sehr wichtig“ geantwortet. Nun sind es nur noch 49 Prozent. Dem Satz „Ohne Arbeit wird ein sinnerfülltes Leben nicht möglich sein“ stimmten noch vor zehn Jahren 84 Prozent der Befragten zu – heuer waren es nur noch 58 Prozent. Die Zahl der dezidierten Ablehner dieses Satzes hat sich von neun auf 18 Prozent verdoppelt.

Bezahlung im Mittelpunkt

Wenn schon Arbeit, dann gut bezahlt – auch dieser Zugang verfestigt sich. Vor zehn Jahren meinten 67 Prozent, dass Arbeit primär Sinn machen muss und Geld eher weniger wichtig ist. Nun sind es nur noch 52 Prozent. Ähnlich die Antworten zum Satz: „Wie viel ich verdiene, ist nicht so wichtig, viel wichtiger ist es, im Beruf eine interessante Aufgabe zu haben“: 54 Prozent Zustimmung vor 15 Jahren, 32 Prozent jetzt.

Die durchgehende massive Veränderung der Einstellungen der Österreicher hat die Meinungsforscher bei GfK so erstaunt, dass sie zunächst die Untersuchungsergebnisse nachgerechnet haben, weil sie an einen Auswertungsfehler dachten, erzählt Angelika Kofler, Chefin der Sozialforschung bei GfK. Am krassesten wird der Wandel an der Aussage deutlich: „Man muss bereit sein, für seine Arbeit auch private Opfer zu bringen“. Dem konnten vor zwanzig Jahren 71 Prozent der Menschen zustimmen (darunter 40 Prozent „voll und ganz“). Jetzt stimmen nur noch 34 Prozent zu (davon zehn Prozent „voll und ganz“). Und die Zahl jener, die „voll und ganz“ der Aussage „Nur durch Leistung bringt man es wirklich zu etwas“ zustimmen konnten, hat sich von 1987 bis heute von 46 auf 24 Prozent halbiert.

Bretschneider räumt im „Presse“-Gespräch ein, zur Erklärung dieses spektakulären Wandels nur „vage Theorien“ zu haben. Zum einen verschöben sich die „Pflicht- und Akzeptanzwerte“ (also eine Orientierung hin auf die Interessen der Gemeinschaft) in Richtung Selbstverwirklichkungswerte. Dazu käme auch, dass die Österreicher heute – auch wenn er es anders wahrnimmt – mehr Freizeit haben als vor zwanzig Jahren. Es liege daher nahe, dass dieser Lebensbereich auch subjektiv wichtiger wird. („Nur in seiner Freizeit wird der Mensch ein erfülltes sinnvolles Leben führen können“: Ablehnung sinkt von 67 auf 43 Prozent).

Auch habe sich der Charakter der Arbeit gewandelt. Früher hätten mehr Menschen gewusst, was sie produzieren. In der Dienstleistungsgesellschaft seien die Produkte nicht so sichtbar, die Menschen daher weniger mit dem Sinn ihrer Arbeit vertraut. Dass der Wandel in den Antworten vielleicht nur eine Normalisierung der Einstellung nach einer zeitbedingt gesteigerten Arbeitsethik der Wiederaufbaugeneration darstellt, glaubt der Sozialforscher nicht: „Das hätte schon früher stattfinden müssen.“ Vielleicht bloß eine Reaktion auf einen unsicheren Arbeitsmarkt, der die Menschen dazu verleite, Arbeit anders zu sehen? Bretschneider verneint dies mit dem Hinweis, dass schon 1987 die Sorgen um den Arbeitsplatz so verbreitet gewesen seien wie heute. Möglich vielleicht, dass die „Erbengeneration“, die es auch „mit Vermögen zu Vermögen bringt“, weniger auf Arbeit fixiert ist als zuvor. Auffallend auch, dass der Einstellungswandel alle Altersstufen umfasse, sagt Kofler. Allerdings: Dass man es nur durch Leistung zu etwas bringen kann, finde heute bei den ganz Jungen mehr Akzeptanz als im mittleren Alter.

Die Erosion der Leistungsorientierung komme immerhin zu einer Zeit, in der „in unserer Nachbarschaft teils hoch motivierte, hungrige und gut ausgebildete Menschen“ ans Werk gingen, ist Bretschneider beunruhigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2007)

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