„Auf dem Markt gibt es kein Christkind“

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Kein Gewinn ohne Risiko. Walter Schachermayer ist über die Aussagen eines Ex-Bank-Direktors schockiert.

Die Presse: An den weltweiten Börsen wurden in den vergangenen Tagen Milliardenbeträge „vernichtet“. Was geht da aus Sicht eines Finanzmathematikers vor sich?

Walter Schachermayer: Na ja, auf der Ebene der Realwirtschaft wurde ja – zumindest unmittelbar – nichts vernichtet. Was passiert ist, spielt sich ausschließlich auf der monetären Ebene ab. Der Wert der Aktien, das sind nichts anderes als Versprechen auf zukünftige Dividendenzahlungen, sank innerhalb kurzer Zeit um etwa 25 Prozent. Davor hat sich der Wert der Aktien im ATX im Lauf von fünf Jahren vervierfacht. Aber deswegen werden unmittelbar nicht mehr oder weniger Semmeln produziert. Die Auswirkungen der Krise treffen die Realwirtschaft nur mittelbar: wenn Unternehmen bei ihrer Refinanzierung in Schwierigkeiten geraten.

Es heißt, dass ein Investor neben einschlägigem Fachwissen vor allem eines braucht: das richtige Gespür. Verändert sich das durch die Entwicklung von mathematischen Modellen?

Schachermayer: Für einen langfristigen Investor ist sicher das richtige Gespür, neben einer eingehenden Information über fundamentale Daten, eine gute Basis für vernünftige Veranlagungen. Es gibt aber Bereiche, in denen heute ohne den kundigen Gebrauch von anspruchsvollen mathematischen Modellen nichts mehr geht. Das ist einerseits der Bereich der Derivative wie etwa Optionen, andererseits der gesamte Bereich des Risikomanagements. Für Finanzunternehmen, die in dieser Liga spielen, ist es heute unabdingbar, dass sie über qualifizierte Leute verfügen, die sich auch im Unternehmen durchsetzen können.

Es ist eine Binsenweisheit, dass man ohne Risiko keine hohen Gewinne machen kann.

Schachermayer: Im Angelsächsischen gibt es den schönen Satz: „There is no such thing as a free lunch.“ Diese schlichte Einsicht liegt der sogenannten „No Arbitrage“-Theorie zur Bewertung von Derivativen zu Grunde. Aufbauend auf diesem Axiom kann man verblüffend weitreichende Konsequenzen mit aller mathematischen Schärfe ableiten. Man erlebt aber immer wieder Überraschungen: Mich hat wirklich schockiert, als vor einigen Monaten Herr Elsner (Ex-Bawag-Chef, Anm.) im Fernsehinterview erklärte, dass er niemals einen Auftrag zur Spekulation erteilt hätte. Alles was er gewollt hätte, sei eine Veranlagung gewesen, die einige Prozentpunkte über dem Geldmarktzins rentiert; aber doch – bitte schön – ohne Risiko.

Man hat manchmal den Eindruck, dass auf den Märkten der Zufall regiert. Stimmt das?

Schachermayer: Ich will das am einfachsten Beispiel, dem Aufwerfen einer Münze, illustrieren. Simon de Laplace wies darauf hin, dass dieser Vorgang den Gesetzen der Physik unterliegt. Wenn man also die Anfangsbeschleunigung, die Dichte der Luft, die Beschaffenheit der Fläche, wo die Münze auffällt, und so weiter kennen würde, könnte man ausrechnen, auf welche Seite die Münze zu liegen kommt. Nur: Es ist natürlich vollkommen unrealistisch, das alles erfassen zu wollen. Daher ist es vernünftig, die Situation wahrscheinlichkeitstheoretisch mit einer 50:50-Chance zu beschreiben – sofern die Münze nicht manipuliert ist.

„Unkritische Euphorie“

So ähnlich ist es bei den Finanzmärkten: Die Aktienkurse resultieren aus handfesten ökonomischen Zusammenhängen von Angebot und Nachfrage. Nur gibt es so viele Akteure und so viele Einflussgrößen, dass es sich – ähnlich wie beim Münzwurf – für eine Reihe von Anwendungen als nützlich erweist, die Situation wahrscheinlichtkeitstheoretisch zu behandeln.

Finanzmathematische Modelle werden auch dafür verwendet, um automatische Handelssysteme zu bauen – der Computer als Händler sozusagen. Diesen wird vorgeworfen, Krisen zu verstärken. Stimmt diese Kritik?

Schachermayer: Diese Frage hatte vor 20 Jahren eine wesentlich höhere Brisanz als heute. Der Börsenkrach 1987, als der Dow-Jones-Index an einem Tag um 22 Prozent einbrach, war nicht unwesentlich von solchen Handelssystemen mitverursacht. Das war damals die erste Welle der noch sehr unkritischen Euphorie über die Nützlichkeit mathematischer Modelle und deren Umsetzung in vollautomatische Handelssysteme. Inzwischen hat man sehr viel dazugelernt, der Umgang mit modellgestützten Handelssystemen ist wesentlich kritischer und differenzierter. Zumindest dort, wo gut ausgebildete und vernünftige Leute sitzen.

Ausgebildete Finanzmathematiker sind am Arbeitsmarkt gefragte Leute. Wie groß ist der Ansturm von Studenten auf das Studium?

Schachermayer: Das Studium ist durchaus beliebt, aber keineswegs überlaufen. Es macht auch nur Sinn für Leute, die Freude an der Mathematik haben und denen das Lösen von kniffligen Problemen Spaß bereitet.

Vertrauen Sie bei der Veranlagung Ihres privaten Geldes auch auf die Modelle, die Sie entwickeln?

Schachermayer: Wie schon erwähnt: Die Grundeinsicht besteht darin, dass es kein Christkind, also keinen „free lunch“ gibt. Daraus kann man auch als kleiner privater Investor einige nützliche Handlungsmaximen ableiten. Allerdings sind die weniger spektakulär als vielleicht mancher Leser erwartet. Eine Grundeinsicht ist zum Beispiel, dass man professionellen MarktteilnehmerInnen in vielen Aspekten klar unterlegen ist: bei der Höhe der Transaktionskosten, der Geschwindigkeit der Verarbeitung von Informationen, der Schnelligkeit beim Traden und so weiter.

„Kein hektisches Agieren“

Daraus ergibt sich, dass man in volatilen Zeiten, wie wir sie gerade erleben, besser nicht versucht, sein Heil in hektischem Agieren zu suchen. Das überlässt man besser den Profis. Aber in ruhigen Zeiten haben die professionellen MarktteilnehmerInnen einen viel kleineren Vorteil gegenüber den Amateuren. Da sollte man sein Portefeuille strategisch und langfristig positionieren. Als langfristige Veranlagung haben Aktien während der vergangenen 200 Jahre über längere Zeiträume immer gut abgeschnitten.

ZUR PERSON

Walter Schachermayer, geboren 1950 in Linz, zählt zur Elite der heimischen Mathematik. Studiert hat er an der WU Wien, sein Doktorat machte er an der Uni Wien. Nach Wanderjahren in Paris und Mexico-City arbeitete er an der Uni Linz, an der Uni Wien und seit 1998 an der TU Wien.

1998 wurde Schachermayer als erster Mathematiker mit dem den höchsten heimischen Wissenschaftspreis, dem Wittgenstein-Preis, ausgezeichnet. Mit dem Preisgeld (15 Mio. Schilling/1,1 Mio. Euro) hat er annähernd 20 Doktoranden- und Post-Doc-Stellen finanziert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2008)

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