Ho-Chi-Minh-Pfad zur Marktwirtschaft

(c) EPA (Julian Abram Wainwright)
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Vietnam ist „die“ Boom-Nation Südostasiens. Die Vorbilder sind China und Singapur.

Hanoi/Singapur. Krieg, Napalm, Agent Orange, Vietcong. Beim Gedanken an Vietnam dürften die meisten Österreicher – von US-Filmen geprägte – Bilder aus der Zeit des amerikanischen Vietnamkrieges im Kopf haben. Doch knapp 35 Jahre nach dem Sieg des kommunistischen Nordens über den von den USA unterstützten Süden sieht die Realität in dem südostasiatischen Land ganz anders aus. Vietnam ist „die“ wirtschaftliche Boom-Nation der Region.

„Die ausländischen Direktinvestitionen betrugen im Jahr 2007 über 20 Mrd. Dollar. Damit wurde in Vietnam mehr investiert als in Indien, obwohl dort rund zehnmal so viele Menschen leben“, sagt der vietnamesische Ökonom und Regierungsberater Le Dang Doanh. Das offiziell sozialistische Land, das im Jänner 2007 der Welthandelsorganisation WTO beigetreten ist, folgt dem Beispiel Chinas – mitsamt der alles anders als kommunistischen Wirtschaftspolitik. Privater Landbesitz ist zwar weiterhin verboten, durch auf 99 Jahre vergebene Nutzungsrechte wird dieses Problem allerdings geschickt aus der Welt geschafft. Und selbst die Hälfte der Staatsbetriebe ging seit dem Jahr 2000 an private Besitzer über. Um das Wort „privat“ zu vermeiden, wurde das Ganze jedoch „Equitisierung“ genannt.

Ideologie spielt keine Rolle mehr

Die wirtschaftliche Öffnung bringt bereits deutliche Erfolge. In den vergangenen Jahren betrug das Wirtschaftswachstum zwischen sieben und neun Prozent pro Jahr. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf verdoppelte sich seit 2002 von 420 auf 850 Dollar (Österreich: etwa 34.000 Euro). Seit 1993 ist die Zahl der Menschen, die mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen müssen, von 58 auf 15 Prozent gefallen. Politische Ideologie spielt vor allem für die Jüngeren kaum noch eine Rolle. „Über 60 Prozent der Einwohner sind jünger als 30 Jahre alt“, sagt Doanh. In den Tempeln wird daher vor allem für drei Dinge gebetet, heißt es: für Geld, für Wohlstand und für Reichtum.

Von dem wirtschaftlichen Aufschwung profitieren aber auch die westlichen Firmen, die Produktionsstätten errichten oder Waren exportieren. „Südostasien muss inzwischen auf der Landkarte heimischer Exporteure drauf sein“, meint dazu Wirtschaftsminister Martin Bartenstein anlässlich einer von ihm und Wirtschaftskammer-Vize-Präsident Richard Schenz angeführten Wirtschaftsdelegation in die Region. Die Länder der regionalen Wirtschaftsgemeinschaft Asean würden einen Markt mit 600 Millionen Menschen bieten. „Vor allem im Bereich der Infrastruktur-, Energie- und Umwelttechnik haben heimische Unternehmen gute Möglichkeiten“, so Bartenstein. In den nächsten zwei bis drei Jahren soll auch ein Freihandelsabkommen zwischen EU und Asean geschlossen werden.

Jeder erhält ein Geldkuvert

Doch trotz aller wirtschaftlichen Erfolge gibt es auch Schattenseiten in Vietnam. Wie in den meisten Ländern Südostasiens werden Wirtschaftstreibende ständig mit Korruption konfrontiert. „Die Beträge sind zwar meist nicht hoch – zwischen 20 und 100 Dollar. Dafür erwartet sich jeder, der auch nur irgendwie mit dem Geschäft in Berührung kommt, ein Kuvert“, sagt der lokale Vertriebsmanager einer heimischen Firma zur „Presse“. Zudem ist auch die Inflation auf fast neun Prozent angestiegen. „Dies hat zu sozialem Grummeln in der Bevölkerung geführt“, sagt Willibold Frehner von der deutschen Konrad Adenauer Stiftung, die in Vietnam politische Beratung durchführt. Das Problem sei, dass es keine Kanäle gibt, durch die sich der Unmut äußern lässt. Als es 2007 Demonstrationen für mehr Mitsprache gab, wurden die Teilnehmer verhaftet und zu hohen Haftstrafen verurteilt. „Dennoch glaube ich, dass Vietnam schneller demokratisch wird als China“, so Frehner.

Diese Entwicklung hat Singapur bereits hinter sich, auch wenn das Land dennoch seit Jahrzehnten mit absoluter Mehrheit einer Partei regiert wird. Der Stadtstaat gilt als Vorzeigeland der Region und liegt mit einem BIP von 35.000 Euro pro Kopf auf europäischem Niveau. Trotzdem wuchs die Wirtschaft zuletzt erneut um 7,7 Prozent. Singapur ist neben China das zweite Vorbild für Vietnam. Denn das Land vollzieht den Übergang von der Produktionsstätte zum Zentrum für Forschung und Entwicklung.

13,5 Mrd. Dollar gibt der 4,5-Mio.-Einwohner-Staat pro Jahr für Forschung aus. Zum Vergleich: Österreich lässt sich diesen Bereich jährlich 2,5 Mrd. Euro kosten. Besonderes Augenmerk wird in der Forschung auf die Bereiche Biotechnologie und Stammzellenforschung geworfen. Neben Geld bietet Singapur den Forschern dabei auch eine äußerst liberale Gesetzeslage.

Technischer Fortschritt, ohne sich dabei von ethischen oder datenschutzrechtlichen Problemen bremsen zu lassen, betrifft in Singapur das gesamte Leben. Die Stadt wird fast vollständig per Video überwacht. Bei der Einreise brauchen Singapurer nicht mehr ihren Pass einem Zollbeamten zeigen, sondern gehen per Fingerabdruck durch eine automatische Schleuse. Und als zuletzt ein Mitglied der Terrorgruppe Jama Islamia aus dem Gefängnis ausbrach, erhielt sofort jeder Singapurer einen Steckbrief mit Foto und Personenbeschreibung aufs Handy.

Staatsfonds finanzieren Forschung

Da Singapur bereits in den 50er-Jahren ein kapitalgedecktes Pensionsverfahren eingeführt hat, gibt es kaum finanzielle Probleme mit der Alterssicherung. Auch das Sozialsystem ist sehr knapp gehalten. Der Staat produzierte daher in der Vergangenheit beträchtliche Überschüsse, die in die beiden Staatsfonds „Temasek“ und „GRC“ eingebracht wurden. Die Einnahmen aus diesen beiden Fonds ermöglichen nun wiederum die Finanzierung des ehrgeizigen Forschungsprogramms. Temasek erlangte zuletzt internationale Bekanntheit, als er um rund sieben Mrd. Euro knapp zehn Prozent an der Schweizer UBS übernahm.

AUF EINEN BLICK

Vietnam gilt als die Boom-Nation Südostasiens. Im Vorjahr flossen mehr Auslandsinvestitionen in das Land als nach Indien. Die Wirtschaft wächst pro Jahr zwischen sieben und neun Prozent, die Zahl der Armen wurde so von 58 auf 13 Prozent reduziert.

Politisch regiert die Kommunistische Partei weiter mit eiserner Hand. Wer öffentlich nach mehr demokratischer Mitsprache verlangt, wird verhaftet und eingesperrt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2008)

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