Senegal: Der Fluch der Baumwolle

(c) Fairtrade (Stefan Lechner)
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„Le Coton“ ernährt 400.000 Senegalesen – und ist einer der Gründe für die Rückständigkeit des Landes.

DAKAR/ TAMBACOUNDA/ KÉDOUGOU. Wer sich für die Globalisierung interessiert, stößt irgendwann auf David Ricardo. Dieser englische Ökonom stellte Anfang des 19. Jahrhunderts die „Theorie der komparativen Kostenvorteile“ auf. Ihr zufolge kann jedes Land zumindest ein Produkt billiger herstellen als alle anderen Ländern. Wenn es unverzerrten Freihandel gibt, profitieren alle Länder, weil jeder sich auf das spezialisiert, was er am günstigsten produzieren kann.

Interessanterweise berufen sich sowohl Befürworter des Freihandels als auch erklärte Globalisierungsgegner in ihrer Kritik an den US-Baumwollsubventionen auf Ricardos Theorie. Wieso, argumentieren sie, wird der „Cotton Belt“ in den USA mit Milliardenbeträgen künstlich marktfähig gemacht, wenn eine Handvoll westafrikanischer Staaten Baumwolle viel billiger erzeugen kann?

139 Euro Ertrag pro Jahr und Familie

Tatsächlich ist dieser Kostenvorteil reine Theorie und nur um den Preis erkauft, dass jeden Herbst hunderttausende Afrikaner wochenlang in brütender Hitze händisch Baumwolle pflücken, statt sich zu bilden oder eine besser bezahlte Arbeit ergreifen – und dann Wechselkursschwankungen und einer allmächtigen staatlichen Agrarverwaltung ausgeliefert sind.

Das zeigt sich beispielhaft im senegalesischen Dorf Thiokethian, das die „Presse“ während der Baumwollernte im November 2007 mit anderen österreichischen Medien auf Einladung von Fairtrade Österreich besucht hat. Thiokethian liegt rund 650 Kilometer südöstlich von der Hauptstadt Dakar.

2007 (das wegen günstiger Witterung ein gutes Jahr war) warf jeder Hektar in dieser Gegend rund 1425 Kilo Baumwolle ab. Die Bauern von Thiokethian halten sich an die Fairtrade-Regeln (siehe unten stehender Artikel) und erhalten darum 238 westafrikanische Franc (CFAF) pro Kilo, also 339.150 CFAF pro Hektar. Bloß müssen die Bauern 157.000 CFAF davon gleich an die monopolistische Baumwoll-Exportfirma Sodefitex bezahlen – für Dünger, Insektenvernichtungsmittel, die Klassifizierung der Ware und sonstige Dienste.

Pro Hektar verdienten die Menschen von Thiokethian an der Fairtrade-Baumwolle, die dieser Tage in Österreich als Tücher, T-Shirts oder Hemden auf den Markt kommt, 182.150 CFAF. Weil jede Familie im Durchschnitt einen halben Hektar für sich reklamiert, bleiben ihr von der Baumwollernte umgerechnet rund 139 Euro pro Jahr.

Dem schwachen Dollar ausgeliefert

Wobei Familien oft aus acht oder mehr Mitgliedern bestehen. Zum Vergleich: Laut Weltbank betrug das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen Senegals 2006 rund 760 Dollar. Das sind rund 484 Euro und fast dreieinhalb Mal mehr, als jede Familie in Thiokethian mit der Fairtrade-Baumwolle verdient.

Dabei ist diese Ware besser bezahlt als normale. Die brachte 2007 einen Ab-Hof-Preis von 180 CFAF pro Kilo. 2006 waren es noch 195 CFAF, obwohl die Nachfrage nach Baumwolle stark steigt. Doch ist der CFAF an den Euro gebunden, während Baumwolle im abwertenden Dollar gehandelt wird.

Zumal die Baumwolle, von der 400.000 Senegalesen, also drei Prozent des Volks leben, eine moderne Erscheinung ist. Erst 1963 rief Staatsgründer Léopold Sédar Senghor eine Baumwoll-Initiative ins Leben, um die Abhängigkeit vom französisch dominierten Erdnussanbau zu verkleinern. In der Region Kédougou, zu der Thiokethian zählt, baute man noch 1982 keine Baumwolle an.

Die Unfreiheit der Kleinbauern wird durch die Macht von Sodefitex verstärkt. Wer Baumwolle exportieren will (das betrifft auch Fairtrade), kann das nur über diese Gesellschaft tun, die zur Hälfte der französischen Staatsfirma Dagris gehört. Um zu produzieren, braucht man Kredit. Den bekommen Kleinbauern ausschließlich von der Caisse Nationale de Crédit Agricole. Die wiederum lässt sich Bonität und fachliche Eignung jedes Kreditnehmers von Sodefitex bestätigen. Man kann sich vorstellen, wie „leicht“ Bauern einen Kredit bekämen, wenn sie direkt – also in Konkurrenz zu Sodefitex – exportieren wollten.

Zumal der Export für Sodefitex wegen des teuren Euro ein Verlustgeschäft ist. Und auch ohne Wechselkursrisiko sind Senegals Bauern dem technisierten US-Baumwollanbau unterlegen. Selbst ohne US-Subventionen, gesteht Sodefitex-Chef Ahmed Bachir Diop, könnten die US-Farmer noch immer dreimal höhere Preise als ihre afrikanischen Konkurrenten verlangen. Nur wäre es dann für die US-Bauern lukrativer, andere Früchte zu pflanzen, wodurch sich Baumwolle verknappen und verteuern würde.

AUF EINEN BLICK: Senegal

Seit 1960 unabhängig, hat Senegal heute viele Probleme. Das Land muss alle Treibstoffe importieren und ist vom Erdnuss- und Baumwollexport abhängig. Der Osten ist bitterarm, von dort kommen viele Bootsflüchtlinge, die an Europas Ufern stranden.

Die 11,9 Millionen Senegalesen sind mehrheitlich moslemisch. In der südlich von Gambia liegenden rebellischen Provinz Casamance gibt es zahlreiche Christen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2008)

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