Jena: Das „Optical Valley“ an der Saale

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Die Universitätsstadt Jena war einst– und ist jetzt wieder – Zentrum der optischen Industrie. Der Forschungs- und Technologiepark hat Modellcharakter.

JENA. Einen Chef wie Michael Mertin hat zuletzt wahrscheinlich die Wirtschaftswunder-Ära hervorgebracht: einen, der selbst mit anpackt und die Ärmel aufkrempelt, wenn es ihm geboten erscheint. Gleichsam als einköpfiges Empfangskomitee steht er vor dem Eingang, einem Pförtner in seinem schlecht sitzenden Anzug zum Verwechseln ähnlich, und begrüßt die Gäste mit kräftigem Handschlag.

Findige Leute wie der studierte Diplomphysiker haben das Saale-Tal in Thüringen südlich von Jena zum „Optical Valley“ deklariert – nach dem großen Vorbild des Silicon Valley in Kalifornien. Hier schlägt das Herz der optischen Industrie, hier gründete Carl Zeiss einst eine Firma von Weltruf, die selbst zu DDR-Zeiten im Ostblock noch Geltung hatte. Und hier rettete nach der Wende Lothar Späth, der als „Cleverle“ bekannte, frühere Ministerpräsident Baden-Württembergs, einen ganzen Industriezweig vor dem Auskauf, indem er sich kurzerhand selbst zum Chef ernannte. 30.000 Mitarbeiter und noch einmal so viele in der Zulieferindustrie verloren damals ihre Arbeit. Doch die zu Tode gesagte Industrie ist „aus Ruinen auferstanden“, wie einer scherzhaft sagt. „Wir hatten Glück – und Späth.“

Hohe Immobilienpreise

Wie Späth ist auch Mertin, Chef der Jenoptik mit 1500 Mitarbeitern, ein Wessi-Import, und wie der Schwabe scheut auch der Kölner nicht vor großen Tönen zurück. „Klotzen, nicht kleckern“, lautet sein Erfolgsrezept. Als Devise gibt er aus, ein „Global Player“ zu werden. Die optischen Geräte wie Mikroskope und Ferngläser, die Laser und die Messtechnik genießen inzwischen wieder einen exzellenten Namen, etwa in der Augenchirurgie und der Weltraumtechnik. „Wir wachsen im Ausland stärker als in Deutschland.“ Selbst den Umwälzungen nach dem Fall der Berliner Mauer kann Mertin noch etwas abgewinnen: „Wir haben hier Veränderungen durchgemacht, die dem Westen erst bevorstehen. Was wir brauchen, ist der Mut zur konstanten Veränderung.“

Mittlerweile gehört Jena zu den aufstrebenden Regionen des Landes, zu den so genannten „Leuchtturmregionen“– zusammen mit Dresden, Leipzig und Halle. Nur der Fußballklub ist gerade in die dritte Liga abgestiegen. Sogar die Immobilienpreise zählen zu den höchsten im Osten Deutschlands.

Zudem hat es den Anschein, als würde der notorische „Jammer-Ossi“ bei soviel Dynamik wenn schon nicht vom Aussterben bedroht, so doch einstweilen verstummt sein. Was Wunder bei einer Arbeitslosigkeit, die sich auf neun Prozent beläuft – die Hälfte des ostdeutschen Durchschnitts. Bürgermeister Albrecht Schröter, ein alerter früherer Pastor, bringt es auf die Formel: „Jena brummt, die Wirtschaft boomt.“ Sein Motto lautet: „Wissen und Wachsen.“

Die 100.000-Einwohner-Stadt baut auf die Tradition der Wissenschaft, auf eine Universität, die jüngst ihren 450. Geburtstag beging. Schiller, Hölderlin, Humboldt, Schlegel, Hegel: Große Geister bevölkerten in der Zeit der aufkommenden Romantik die Stadt und machten die Nachbarstadt von Weimar über die Grenzen Thüringens bekannt. Dass der Bahnhof den Namen „Paradies“ trägt, mag damit zusammenhängen.

„Nicht alles schlecht an DDR“

Ein Relikt an die DDR-Diktatur ist den Jenaern aber geblieben, und sie haben es bewusst nicht entfernt. Ein Wandrelief im alten Rathaus stellt den „neuen Menschen“ dar, an dessen Spitze Walther Ulbricht den Werktätigen die Richtung weist. In puncto Ausbildung und Know-how profitiert die Industrie freilich noch heute vom DDR-Bildungssystem. „Nicht alles war schlecht an der DDR“, wirft der Bürgermeister, ein SPD-Mann, ein.

Bei schweißtreibenden Temperaturen von 26 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 60 Prozent polieren die Jenoptik-Arbeiter in kurzen Hosen und T-Shirts die Linsen und geben ihnen den letzten Schliff. „Man braucht Fingerspitzengefühl und Konzentration für den Job“, sagt eine Arbeiterin. Der Job bei Jenoptik bringt einen Stundenlohn ein zwischen zwölf und 17 Euro.

Auf dem Beutenberg-Campus, einem mit EU-Geldern geförderten Forschungspark, verlassen die Absolventen den universitären Elfenbeinturm. Die Straßen tragen die Namen großer Wissenschaftler wie Albert Einstein. An einem Hang gelegen, sind die aus dem Boden gestampften Institute wie das Fraunhofer-Institut oder die Max-Planck-Gesellschaft die Scharnierstellen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft – oder wie es auf Neudeutsch heißt: Cluster.

Ziel ist es, die Aktivitäten der Forschungsstellen zu bündeln. Die Mikrobiologie kommt etwa in der Altersforschung zur Anwendung. In Start-up-Unternehmen versuchen die Forscher, ihr Wissen gewinnbringend zu nutzen. Der Geophysiker Matthias Meyer hat mit seinen 13 Mitarbeitern einen Sensor entwickelt, der Erze oder Diamanten ortet, beispielsweise in Afrika. „Nach drei Jahren muss sich der Erfolg einstellen“, weiß Meyer. Er hat es geschafft.

AUF EINEN BLICK

Jenoptik-Chef Michael Mertin, studierter Diplomphysiker, ist einer der Väter des „Optical Valley“, des Forschungs- und Technologie-Clusters in Thüringen südlich von Jena. In der Region ist die Arbeitslosigkeit nur halb so hoch wie in anderen Gegenden Ostdeutschlands, die Immobilienpreise schnellen in die Höhe. [AP/Meyer]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2008)

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