Atomenergie: Schweizer planen neue Kernkraftwerke

(c) AP (Petr David Josek)
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Der geplante Atomausstieg ist in der Schweiz Vergangenheit. Es herrscht Angst vor einer „Energielücke“.

Bern. Der größte Schweizer Energiekonzern Atel preschte diese Woche vor. Das Unternehmen reichte bei den Bundesbehörden ein sogenanntes „Rahmenbewilligungsgesuch“ für den Bau eines neuen Atommeilers ein. Der Reaktor soll neben das 1979 in Betrieb genommene AKW Gösgen im Kanton Solothurn zu stehen kommen. Die Wahl fiel nicht von ungefähr auf diese ländliche Region zwischen Zürich und Bern.

„Die Bevölkerung akzeptiert hier die Kernenergie“, sagt Atel-Chef Giovanni Leonardi. „Wir können auf eine jahrelange positive Zusammenarbeit mit Behörden und der Bevölkerung zurückblicken.“ Der Gemeindepräsident der AKW-Standortgemeinde Däniken, Gery Meier, sieht das auch so: „Dank des bestehenden Reaktors erlebte die Region einen bedeutenden Aufschwung.“ Mit der Rahmenbewilligung wird der Standort festgelegt. Das ist ein politischer Entscheid. Danach steht das technische Bewilligungsverfahren an. Atel plant einen Leichtwasserreaktor mit einer Leistung von bis zu 1600 Megawatt. Um die Standortgemeinde zu beruhigen, soll kein zweiter 150 Meter hoher Kühlturm gebaut werden. Vorgesehen ist ein moderner „Hybridkühlturm“ mit einer Höhe von lediglich 60 Metern, der kaum weiße Dampfschwaden freisetzen soll.

Die gesamten Investitionen betragen rund 4,5 Mrd. Euro. Nach einer Bauzeit von acht Jahren könnte der neue Atommeiler frühestens im Jahr 2025 ans Netz gehen, so der Zeitplan der Atel. Doch der Weg bis dahin ist mit vielen Steinen gepflastert. Zwar dürfte die Schweizer Regierung und die bürgerliche Mehrheit des Parlamentes das Gesuch gutheißen. Aber das letzte Wort wird das Volk in einer Abstimmung sprechen.

Grüne und Sozialdemokraten dagegen

Der Ausgang des für 2012 geplanten Referendums ist offen. Umweltverbände, Sozialdemokraten und Grüne künden erbitterten Widerstand an – bis hin zur Besetzung des Baugeländes. Sie fordern, dass das Energiesparen und die erneuerbare Energie forciert werden. Auch sei in der Schweiz die Endlagerung von radioaktiven Abfällen noch immer nicht gelöst. Mit dem Gesuch sind die alten ideologischen Gräben blitzartig aufgebrochen. Seit dem Verzicht auf das AKW-Projekt Kaiseraugst bei Basel 1988 halten sich Befürworter und Gegner der Atomkraft in Schach.

Der Streit wird hart und unversöhnlich ausgetragen. Parteipolitik spielt im Glaubenskrieg zwischen den Atombefürwortern und den Atomgegnern keine zentrale Rolle – und die Eidgenossen sind wankelmütig. Sie hatten 1990 in einem Referendum beschlossen, dass für die Dauer von zehn Jahren ein AKW-Baustopp gilt. Dieses Moratorium ist Ende 2000 abgelaufen. Eine Verlängerung des Baustopps um weitere zehn Jahre lehnte das Volk 2003 in einer Abstimmung aber deutlich ab.

Auch die Stromkonzerne Axpo (Zürich) und BKW (Bern), an denen die öffentliche Hand maßgeblich beteiligt sind, wälzen Pläne für zwei AKW. Sie wollen noch in diesem Jahr die Gesuche für eine Rahmenbewilligung ihrer Projekte einreichen. Die Standorte sind Döttingen, unweit der Rheingrenze zu Deutschland gelegen, und Mühleberg bei Bern. In diesen Gemeinden sind die drei ältesten Schweizer Atommeiler in Betrieb. Sie müssen voraussichtlich 2020 abgeschaltet werden.

Finanzierung der AKW noch ungeklärt

Alles andere als geklärt ist aber auch die Finanzierung der AKW-Projekte. Die Energiekonzerne stehen wegen der Strommarktliberalisierung in Konkurrenz und liefern sich unerwartet einen Poker um mögliche Standorte und eventuelle Zuschüsse. Doch die Konzerne müssen sich zusammenraufen – aus finanziellen und politischen Gründen. Grundsätzlich begründet werden die AKW-Projekte von den Stromkonzernen mit einer drohenden Energielücke ab dem Jahr 2035.

Ab diesem Zeitpunkt fehlen der Schweiz laut Studien rund 40 Prozent des heutigen Strombedarfs – genau so viel wie alle fünf bereits bestehenden AKW im Alpenland zusammen produzieren. Denn langfristige Lieferverträge mit AKW-Betreibern in Frankreich laufen aus und die Nutzung der Wasserkraft mit den riesigen Stauseen in den Bergen lässt sich nicht mehr ausbauen. Die Konzerne wissen die Bundesregierung hinter sich. Sie erachtet den Ersatz der bestehenden und den Neubau von Atomkraftwerken als „notwendig“. Somit hat sich der Schweizer Zugang zur Atomkraft in den vergangenen Jahren radikal gewandelt. Denn noch 1998 hatte sich die Schweizer Regierung für einen „geordneten Rückzug aus der Kernenergie“ ausgesprochen.

AUF EINEN BLICK

Ab 2020 muss der Großteil der bestehenden AKW in der Schweiz abgeschaltet werden. Laut Studien droht daher eine Energieknappheit.

Die Schweizer Energiekonzerne planen daher den Bau von neuen Kernkraftwerken. Auch die Regierung will nicht mehr aus der Atomkraft aussteigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2008)

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