Thomas Lehner: "Ich habe alles selbst herausgefordert"

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Der Burgenländer Thomas Lehner gründete mit 19 Jahren ein Unternehmen und schlitterte mit 23 Jahren in den Konkurs. Sechs Jahre später hofft er auf eine zweite Chance.

Jetzt sitzt Thomas Lehner in seinem Auto. Er hat sich eingeparkt und blickt hinunter auf den Bodensee. Es ist ein wunderschöner
Herbsttag, die Sonne scheint. Gestern war er in Lech. „Da war schon Winter“, erzählt er. Lehner klappert die Hotels und Restaurants ab. Der 29-Jährige ist Winzer im burgenländischen Seewinkel. Seit einigen Monaten sorgt er in der Weinszene für Furore. Seine Weine sind elegant – und teuer. „Zu teuer für einen Nobody“, meinen die einen. Für die anderen repräsentiert Lehner die „Next Generation“ unter Österreichs Winzern.

Aber das ist nicht die Geschichte eines Weinbauern. Es ist die Geschichte eines jungen Menschen, der alles riskiert und fast alles verloren hat. Eines Menschen, der mit 29 Jahren ein zweites Leben beginnen möchte. „Ich habe alles selbst herausgefordert. Ich will kein Mitleid“, sagt Lehner. Er war mit 19 Jahren einer der jüngsten Unternehmer des Landes – und wenig später einer der jüngsten Pleitiers. Mit 23.

Komisch. Schon der Anfang war ein trauriger Anlass. Seine Großmutter starb im Jahr 2000 und hinterließ einen kleinen Weingarten in Gols. 2500 Quadratmeter. Nicht der Rede wert. Doch der 15-jährige HTL-Schüler in Mödling interessierte sich für Weinbau. Obwohl er Wein nur von den Winzern im Ort kannte, obwohl er den Schulzweig Innenraumgestaltung und Möbelbau besuchte. Aber in seiner Freizeit büffelte er im Internat Weinbau. Und am Wochenende widmete er sich mit dem Vater dem Weingarten. In der Autogarage wurde der erste Rotwein in Plastikbottichen vergoren. Es war – wie manche wohlwollend sagen – ein sehr „experimenteller“ Wein.

Doch bald hatten Lehner und all die anderen Winzer im Burgenland ganz andere Sorgen. Die Traubenwelke– auch Zweigelt-Krankheit genannt– nahm beängstigende Ausmaße an. Die Trauben litten an einer Mangelerscheinung, die das Wachstum jäh stoppte, sodass die Trauben nicht reif wurden. Die Ernteausfälle waren groß.

Ausgerechnet der Teenager Lehner fand bei einer Landwirtschaftsmesse ein Mittel gegen diese Krankheit. Es war ein Flüssigdünger eines englischen Unternehmens. „Ich habe das einfach zusammen mit zehn anderen Winzern probiert“, erinnert sich Lehner. „Ich bin mit dem Traktor gefahren und habe das Mittel eingebracht. Und siehe da: Es hat funktioniert.“

Was als Nachbarschaftshilfe anfing, endete als Unternehmen. „Kannst du mir nicht die Traktorarbeit abnehmen?“, fragte ein Winzer. Auch andere waren von der Idee angetan, Arbeitsprozesse auszugliedern, um sich intensiver der Kellerarbeit und dem Verkauf widmen zu können. Das „Lohnunternehmen Thomas Lehner“ war geboren. Die Bank gab 300.000 Euro Kredit. Damit kaufte Lehner seine ersten Landmaschinen. Er tingelte von Winzer zu Winzer, hielt Powerpoint-Vorträge vor Weinbauvereinen.

„Zwei Monate nach meinem Schulabschluss war die erste Kreditrate fällig“, erzählt Lehner. 4800 Euro. Und es war kein Problem. Lehner hatte 60 Kunden, bearbeitete 100 Hektar Weingärten. Er legte sich eine völlig neuartige Vollerntemaschine aus Frankreich zu. Eine Maschine, die so perfekt eingestellt und getrimmt war, dass man zur Handlese kaum einen Unterschied bemerkte, erzählt er. „Die Trauben lagen im Bottich wie Kaviar.“


78 Stunden durchgearbeitet. Und Lehner hat geschuftet. „Mein Rekord war, 78 Stunden durchzuarbeiten, ohne zu schlafen.“ Danach habe er aber eine Woche gebraucht, „um wieder normal“ zu werden. Aber das Geschäft mit dem Weinbau ist eben ein Geschäft mit der Zeit. Schädlinge müssen bekämpft werden, wenn sie da sind, die Ernte muss innerhalb weniger Tage eingefahren werden. „Im ersten Jahr schrieb ich Gewinn.“ Er war 20 Jahre alt, wurde gefeiert, in den Lokalgazetten gepriesen. „Ich war der Hero.“ Er hatte kein Privatleben, keine Freundin. Aber noch schlimmer war: Er hatte keine Ahnung von Buchhaltung.

Das fiel Lehner im zweiten Jahr als Unternehmer auf den Kopf. Er hatte mittlerweile drei Erntemaschinen im Einsatz. Aber er erntete nicht dreimal so viel in diesem zweiten Jahr. Denn die Maschinen standen länger in der Werkstatt als in den Weingärten.

Die moderne Erntemaschine aus Frankreich war der Auslastung nicht gewachsen. „Plötzlich musste ich 80.000 Euro nur für Reparaturen zahlen.“ Die Ingenieure aus Frankreich waren zwar nett und höflich, aber unzuverlässig.

„Ich kam mir vor wie der Entwicklungshelfer für die Franzosen.“ Auf der ganzen Welt gab es wenige hundert dieser Geräte. Keines wurde derart intensiv genutzt wie jenes von Lehner. „Es hat keinen Tag gegeben, an dem wir nicht gestanden sind.“

Das war der Anfang vom Ende. Denn die Weinernte kann man nicht beliebig verschieben. Die Zweigelt-Trauben müssen in der ganzen Region innerhalb von zehn Tagen geerntet werden. Lehner kam mit seinen Aufträgen in Verzug, die Winzer waren verärgert. Und vor allem: Sie haben nicht mehr bezahlt, da sie mit der Arbeit nicht mehr zufrieden gewesen sind. „Ich habe vor lauter Arbeit vergessen, rechtzeitig Rechnungen zu schreiben und säumige Kunden zu klagen.“


Konkurseröffnung. Irgendwann hörte auch Lehner auf, seine Rechnungen zu bezahlen. Das ganze Geld floss in die Reparaturen. Der „Hero“ bekam selbst blaue Briefe, Mahnungen. Eines Tages stand der Exekutor vor der Tür. Wenig später folgte der Brief vom Gericht: Antrag auf Konkurseröffnung. „Das erste Mal in meinem Leben wusste ich nicht mehr, wie es weitergeht.“ Lehner war am Ende. „Wenn ich auf das Feuerwehrfest ging, hatte ich das Gefühl, dass mich alle anstarren, dass jeden Moment die Musik aufhört zu spielen.“ Er ging nicht mehr weg. Igelte sich ein.

Nun sitzt er im Auto und erzählt seine Geschichte. Irgendwann ist er aus diesem Loch herausgekrochen, hat wieder Wein gemacht, ihn besser gemacht, schönere Etiketten auf die Flaschen geklebt – und wieder überzeugt. „Ich habe in den vergangenen fünf Monaten vier Kunden im Ausland gewonnen.“

Künftig wird er seine Weine auch nach Dänemark, England, Norwegen und Südkorea exportieren. „Vielleicht auch schon bald in die USA“, erzählt er. Auf dem Etikett steht Thomas Lehner. Aber der Betrieb läuft auf den Namen seines Vaters. Lehner ist „geringfügig“ beschäftigt.

Die Schulden aus seinem ersten Leben sind noch immer da. Und je mehr von ihm als Winzer zu hören ist, umso mehr fürchtet er, dass man ihm wieder das kleine Bisschen wegnimmt, das er sich soeben wieder aufgebaut hat. „Ich will ja meine Schulden zurückzahlen“, sagt er. „Aber das kann ich nur, wenn ich auch eine zweite Chance bekomme.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2014)

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