Das russische Embargo auf Lebensmittelimporte aus Europa hat pikante Folgen. Russlands diktatorischer Zollunionpartner Weißrussland hilft Europa, den Importstopp zu umgehen, und gefährdet so die Zollunion.
Wien. Sie ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu Wladimir Putins Eurasischem Wirtschaftsraum, mit dem er ein östliches Gegengewicht zur EU schaffen will. Im Jahr 2010 wurde die Zollunion zwischen Russland und Weißrussland ausgerufen, ein Jahr später dann mit Kasachstan, nur die Ukraine machte nicht mit. Nun aber beginnt die Zollunion allmählich zu bröckeln. Denn wo zuletzt Waren zollfrei zwischen den Staaten verkehrten, wird wieder mehr kontrolliert. Wo Lastwagen durchgewunken wurden, müssen sie ihre Ladungen plötzlich wieder herzeigen.
Zuletzt teilte gestern das russische Zollamt mit, dass die Weißrussen die Fuhren zwischen beiden Staaten wieder filzen. Von kilometerlangen Warteschlangen schreibt die Zeitung „Rossijskaja Gazeta“, von drei bis vier Tagen Wartezeit die Zeitung „Wedomosti“.
Zuvor hatte Moskau begonnen, den Import aus dem Nachbarstaat zu kontrollieren und ein Verbot für den Transit weißrussischer Waren nach Kasachstan zu verhängen. Die Agraraufsichtsbehörde hatte kurzerhand selbst Kontrollposten an der Grenze errichtet.
Missbrauch der Zwischenlage
Der Grund, dass die beiden slawischen Nachbarstaaten einander nicht mehr trauen, liegt freilich nicht in ihren direkten Wirtschaftsbeziehungen. Er liegt vielmehr darin, dass Weißrussland den russischen Importstopp für Agrar- und Molkereiprodukte aus der EU umgeht und Kapital daraus schlägt.
Im Sommer hatte Russland als Reaktion auf die westlichen Sanktionen den besagten Importstopp verhängt und so Betrieben – auch in Österreich – geschadet. Von seinen Zollunionpartnern Weißrussland und Kasachstan hatte Moskau verlangt, den Transit von EU-Lebensmitteln über ihr Territorium nach Russland zu untersagen.
Weißrussland freilich sah seine Stunde gekommen. Importierte eifrig aus der EU, stellte neue Dokumente aus und reexportierte die Waren nach Russland. Allein im September – einen Monat nach Verhängung des russischen Importstopps – stieg der Import von Molkereiprodukten aus dem Westen nach Weißrussland im Vergleich zum Vorjahr um das 117-fache, so das Minsker Zollkomitee. Beim Import von Früchten fand eine Verdoppelung statt.
Neuauflage des alten Spiels
Der Missbrauch der geografischen Mittellage Weißrusslands für Schleichwege westlicher Waren nach Russland ist nicht nur eine Idee findiger Unternehmer. Weißrusslands Staatspräsident Alexander Lukaschenko selbst hat zu diesem Missbrauch aufgerufen. Wie man seine geografische Zwischenlage maximal für sich ausnützt, hatte er übrigens schon früher bewiesen. Oft hat Russland das in Kauf genommen, weil Weißrussland als Pufferstaat hin zur EU gilt. Vor allem beim Transit von Öl und Gas konnte sich Weißrussland von Moskau vieles an Zugeständnissen herausschlagen: So wird Öl billig aus Russland importiert und nach der Weiterverarbeitung in die EU exportiert. Entgegen den Vereinbarungen teilt Minsk die Gewinne mit Moskau nur spärlich.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2014)