Geht uns die Arbeit aus?

Austria, Vienna, lighted windows of an office building by night
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Auf dem österreichischen Arbeitsmarkt spitzt sich die Lage zu. Immer mehr Menschen suchen einen Job. Doch das zur Verfügung stehende Arbeitsvolumen stagniert.

Seit der Aussage von Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP), das Arbeitsloseneinkommen sei zu nah am Erwerbseinkommen, wird wieder heftig über Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit diskutiert. Während in anderen EU-Ländern die Arbeitslosenquote zurückgeht, steigt sie in Österreich. Bis Ende dieses Jahres dürften hierzulande mehr als eine halbe Million Menschen keinen Job haben. Das ist ein neuer Rekord. SPÖ und ÖVP sind sich uneins, was sie dagegen tun sollen. Sie können sich nicht einmal auf einen Termin für einen Arbeitsmarktgipfel einigen.

Interessant sind in diesem Zusammenhang die Daten der Statistik Austria. Denn sie zeigen, dass es auf dem Arbeitsmarkt einen beinharten Verdrängungswettbewerb gibt. Immer mehr Menschen suchen in Österreich einen Job, während das zur Verfügung stehende Arbeitsvolumen stagniert.

Vor zwanzig Jahren konnte sich die Regierung noch zufrieden zurücklehnen. Laut Statistik Austria gab es im Jahr 1994 in Österreich 3,654 Millionen Erwerbstätige. Zehn Jahre lang ist diese Zahl – abgesehen von kleineren Schwankungen – gleich geblieben. Im Jahr 2004 weist die Statistik rund 3,676Millionen Berufstätige aus. Doch dann kam es zu gravierenden Veränderungen. Die Zahl der Erwerbstätigen stieg massiv. Im Jahr 2010 wurde die Vier-Millionen-Schwelle überschritten. Ende 2014 gingen in Österreich 4,113 Millionen Menschen einer beruflichen Tätigkeit nach. Somit wurden in den vergangenen zehn Jahren zusätzlich 437.000 Menschen in den österreichischen Arbeitsmarkt integriert.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Gestiegen ist die Zahl der berufstätigen Frauen, allerdings arbeiten viele von ihnen Teilzeit.

Zu berücksichtigen ist weiters die Zuwanderung. Seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich die Zahl der Zuwanderer aus dem Ausland massiv erhöht. 2010 lag der Wanderungssaldo (Zuzüge minus Wegzüge) laut Statistik Austria bei 21.316 Personen, 2013 waren es bereits 54.728 Personen, und im Vorjahr kamen 72.324 Personen nach Österreich. Dabei handelt es sich nicht nur um Menschen aus Osteuropa und um Flüchtlinge. Die größte Ausländergruppe in Österreich sind die Deutschen.


Arbeitsvolumen stagniert. Problematisch ist, dass sich trotz des massiven Anstiegs an Erwerbstätigen die Zahl der Arbeitsstunden kaum erhöht hat. Laut Statistik Austria wurden im Jahr 2004 in Österreich 6,775 Milliarden Arbeitsstunden geleistet, zehn Jahre später waren es 6,815 Milliarden Arbeitsstunden. Das ist nicht einmal ein Plus von einem Prozent.

„Besonders ab 2009, dem ersten Jahr, in dem die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise auf dem Arbeitsmarkt deutlich wurden, ging die Entwicklung auseinander. Seitdem stagniert die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden etwa auf dem Niveau von 2004, während die Erwerbstätigkeit weitersteigt“, sagt Arbeiterkammer-Experte Norman Wagner, der sich jüngst in der Ausgabe der „Sozial- und Wirtschaftsstatistik aktuell“ mit diesem Phänomen beschäftigt hat.

Daher müssen sich immer mehr Menschen das zur Verfügung stehende Arbeitsvolumen teilen, was den Anstieg bei der Teilzeitbeschäftigung erklärt. Bei Zuwanderern herrscht ein Verdrängungswettbewerb. Ein junger Mann aus Ungarn nimmt beispielsweise einem Mann aus Serbien, der schon lang in Österreich auf dem Bau gearbeitet hat, den Job weg.

Dies wird sich weiter verschärfen. Laut AMS-Prognose werden zwischen 2014 und 2019 rund 212.000 zusätzliche Arbeitskräfte auf dem österreichischen Arbeitsmarkt aktiv sein. Davon stammen 80 Prozent aus dem Ausland. Diesen 212.000 zusätzlichen Arbeitskräften stehen aber nur 132.000 neue Stellen gegenüber.

Was dagegen tun? Die Gewerkschaften fordern die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Sie hoffen, dass bei einer Senkung der Arbeitszeit das Arbeitsvolumen auf mehr Menschen aufgeteilt werden kann. Das sei ein Irrglaube, warnen Wirtschaftskammer und die Industrie. Um die 35-Stunden-Woche zu finanzieren, würden sich die Arbeitskosten verteuern. Dabei sind in Österreich die Lohnnebenkosten im EU-Vergleich schon jetzt viel zu hoch. Viele Firmen könnten gezwungen sein, Teile der Produktion in Niedriglohnländer zu verlegen.

Ein Weg, der garantiert zu mehr Jobs führt, ist mehr Wirtschaftswachstum. Hier zeigt sich die Schwachstelle Österreichs. Während in den meisten EU-Ländern die Wirtschaft heuer abhebt, gehört Österreich zu den Schlusslichtern. Um das zu ändern, wären bessere wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen wie weniger Regulierung und eine substanzielle Senkung der Lohnnebenkosten notwendig.

Zahlen

Bis Jahresende wird es in Österreich erstmals eine halbe Million Arbeitslose geben.

Laut AMS-Prognosewerden zwischen 2014 und 2019 rund 212.000 zusätzliche Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt aktiv sein. Davon stammen 80 Prozent aus dem Ausland. Diesen 212.000 zusätzlichen Arbeitskräften stehen nur 132.000 neue Stellen gegenüber.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2015)

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