Wohlstand: Tiefe Gräben in der Slowakei

REGIONALE UNTERSCHIEDE. Trotz EU-Förderungen hat sich das Ungleichgewicht innerhalb der Slowakei verschärft. Bratislava ist eine der reichsten Städte der neuen EU-Länder, im Osten des Landes herrscht ökonomischer Notstand.

Bratislava. „Verminderung des Wohlstandsgefälles zwischen den Regionen.“ So oder ähnlich lautete stets eine der wichtigsten wirtschaftspolitischen Prioritäten in bisher jedem Regierungsprogramm der Slowakei der letzten Jahre. Sichtbare Erfolge sind kaum zu erkennen. Stattdessen ertönen wiederholt Warnungen, dass sich trotz EU-Förderungen und Regierungsprogrammen die Unterschiede zwischen der reichen Hauptstadtregion Bratislava und dem armen Osten weiter vertiefen.

Denn die Rezepte des 20. Jahrhunderts sind zur Verminderung der regionalen Unterschiede nicht mehr einsetzbar, und neue Rezepte greifen noch nicht. In der ersten Tschechoslowakischen Republik (CSR) zwischen den beiden Weltkriegen und erst recht in der Gleichmacherei-Bestrebung des „Realsozialismus“ wurden Industriebetriebe mitten in rückständige Regionen gepflanzt. So fanden in der vormaligen Schafhirtenregion Orava an der polnischen Grenze plötzlich Tausende Menschen Arbeit durch die Produktion von Schwarz-Weiß-Fernsehern für die ganze ČSSR und den Export in die „Bruderländer“.

Zwanzig Jahre nach der Wende ist die Slowakei zwar neuerlich eine Elektronikgroßmacht geworden. Aber die neuen Fabriken von Sony und Samsung stehen natürlich nicht in entlegenen Gebirgstälern, sondern direkt an den wichtigsten Autobahn- und Eisenbahnstrecken, die die Slowakei auf schnellstem Weg mit den Schwester- und Zulieferbetrieben in Ungarn und Tschechien sowie den westeuropäischen Abnehmerländern verbinden, also in diesem Fall in Nitra und Galanta im Großraum Bratislava und Westslowakei.

Von einer durch viele Berge und Flüsse erschwerten gleichwertigen Anbindung aller anderen slowakischen Regionen an die internationalen Verkehrsnetze wird aus Mangel an Geld seit Jahren mehr geredet als gebaut. Gerade jetzt musste Verkehrsminister L'ubomír Vážny wie seine Vorgänger erneut einen Aufschub der Verkehrspläne einräumen. Selbst die ökonomisch noch halbwegs prosperierenden Regionshauptstädte Košice, Prešov und Banská Bystrica haben keine ununterbrochene Autobahnverbindung nach Bratislava oder gar ins Ausland. Die beiden Letzteren liegen nicht einmal an einer Hauptstrecke der Eisenbahn.

Investitionen rund um Bratislava

So vereint die nur 5,4 Millionen Einwohner zählende Slowakei auf besonders engem Raum sichtlichen Reichtum und erschütternde Armut: Die Hauptstadtregion Bratislava ist hinter Prag die zweitreichste Region der neuen EU-Länder und übertrifft an Kaufkraft und Produktivität schon längst viele westeuropäische Regionen. Das zeigt sich auch an den massiven Immobilienkäufen slowakischer Hauptstadtbewohner im angrenzenden Ostösterreich. Aber nicht einmal 400 Kilometer Luftlinie weiter östlich beginnt schon eine der nach wie vor ärmsten Regionen der gesamten EU.

Zur Veranschaulichung: Während in Bratislava Arbeitskräftemangel herrscht, registriert die staatliche Zentrale für Arbeit (UPSVaR) in der Ostslowakei Bezirke mit bis zu 30 Prozent Arbeitslosigkeit. Und laut der größten Bank Slovenská Sporitel'ňa (Slowakische Sparkasse, eine Tochter der Erste Bank) liegen in Bratislava 40 Prozent der nationalen Spareinlagen – obwohl dort nur zwölf Prozent der Bevölkerung leben.

In der Region Bratislava (bestehend aus der Hauptstadt und zwei Nachbarbezirken) sind laut Slovenská Sporitel'ňa die Löhne um ein Drittel höher als im Durchschnitt aller anderen Regionen, und im Vergleich zur Ostslowakei ist das Pro-Kopf-Einkommen sogar um 78 Prozent höher. Dass sich der Unterschied nicht so bald verringern wird, zeigt sich daran, dass sich auf dieses Achtel des Landes fast zwei Drittel der Auslandsinvestitionen konzentrieren. Und obwohl sich ein Drittel aller Neubauten in den letzten Jahren auf die Region Bratislava konzentrierte, können sich die meisten Ostslowaken eine Übersiedlung wegen der höheren Mieten nicht leisten.

Der arme Osten ist teuer

Anders als in Österreich ist für die ärmeren Regionen in der Slowakei aber auch eine Bereinigung der Einkommensangaben um Preisunterschiede kein Trost: Gemessen an der Kaufkraft, ist das arme ostslowakische Prešov sogar die teuerste der acht Regionen (in absoluten Zahlen ist es natürlich Bratislava). Wie drastisch die Unterschiede zuletzt gewachsen sind, zeigt ein Vergleich im EU-Maßstab: Von 1995 bis 2005 stieg das Niveau des BIP pro Kopf in der Region Bratislava von ziemlich genau 100 Prozent des EU-Schnitts auf über 140 Prozent, während die ostslowakische Region Prešov mit 36 Prozent fast auf ihrem Ausgangswert stehen blieb.

auf einen blick

Die regionalen Unterschiede im Wohlstand haben sich in der Slowakei, trotz EU-Beitritt, zwischen der reichen Region
rund um Bratislava und der infrastrukturell vernachlässigten Ostslowakei zunehmend verschärft.

Zwei Drittel aller Investitionen werden rund um Bratislava getätigt, das Lohnniveau liegt hier knapp 80 Prozent über dem an der Ostgrenze der Slowakei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2009)

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