Standort Österreich: Das verlorene Kapital

THEMENBILD: AUSTRIAN AIRLINES (AUA)
THEMENBILD: AUSTRIAN AIRLINES (AUA)APA/ROBERT JAEGER
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Was passiert, wenn die Konzernzentrale in Deutschland, Mexiko oder Italien steht, zeigen AUA, Telekom Austria und Bank Austria. Was ist faul am Standort Österreich? Eine Analyse.

Als vor einigen Tagen die Gerüchte über die geplante Zerschlagung der Bank Austria immer lauter wurden, war das wieder ein willkommener Weckruf für Kulturpessimisten: Wieder ein heimisches Paradeunternehmen flöten gegangen! Die einst stolze Austrian Airlines nur noch ein Regionalflieger unter den Fittichen des deutschen Lufthansa-Kranichs. Die einst mächtige Telekom Austria nur noch ein Spielball eines mexikanischen Multimilliardärs. Und jetzt das einstige Finanzbollwerk der Stadt Wien, die Bank Austria.

Wer trägt Schuld an dieser Entwicklung? Stellt man diese Frage an die rote Reichshälfte, ist die Antwort klar: Die Privatisierungen – erfolgt in Zeiten der schwarz-blauen Regierung – haben zum Ausverkauf der heimischen Industrie geführt. Infrastrukturminister Alois Stöger (SPÖ) wird nicht müde zu betonen, dass unter ihm die Telekom Austria niemals an die Mexikaner gegangen wäre. Er sieht ein Versagen der früheren staatlichen Industrieholding ÖIAG, die ins schwarze Finanzministerium ressortierte.

Fragt man die rechte Reichshälfte, dann waren AUA, Telekom, Bawag und Co. für rote Gewerkschafter und Funktionäre nichts anderes als Kaugummiautomaten, an denen man sich auch ohne Münzen bedienen konnte. Am Ende blieben nur noch Notverkäufe ins Ausland als letzter Ausweg.

Was beide Lager verbindet, ist die Meinung, dass österreichische Leitbetriebe mit ihren Konzernzentralen nur mit einer starken österreichischen Eigentümerstruktur in Österreich gehalten werden können.

Wäre dem so, dann müsste die Schweiz längst industriell erodiert sein. Dann dürften dort nicht mehr die Zentralen von Weltkonzernen wie Novartis, Nestlé, Roche, UBS, ABB und Co. stehen. Sie verfügen nämlich allesamt weder über einen staatlichen Kernaktionär noch über einen hohen Anteil an privaten Schweizer Anteilseignern. Lediglich 17,8 Prozent des Schweizer Aktienmarkts sind in der Hand von Schweizer Investoren, ergab eine Untersuchung der „Neuen Zürcher Zeitung“ gemeinsam mit der UBS. Den mit Abstand größten Teil der institutionellen Anleger stellen die USA. Sie halten mehr als 43 Prozent am Schweizer Aktienmarkt. Mehr als 60 Prozent des Schweizer Aktienmarkts ist in Händen von vier Ländern: USA, Luxemburg, Großbritannien und Norwegen.

Trotzdem merkt man beim westlichen Nachbarn nichts von einer Demontage des Industriestandorts, von einem Abbau der Firmenzentralen. Weil institutionelle Investoren vor allem eines interessiert: ein funktionierender Kapitalmarkt.

Österreichische Politiker fangen mit „Kapitalmarkt“ und „Börse“ prinzipiell wenig an. Und zwar unabhängig von ihrer politischen Gesinnung. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) ortete einst bei „Abzockern und Börsenspekulanten [. . .] keinen Sinn für das Gemeinsame.“ Und deshalb müssten diese höher besteuert werden. „Her mit dem Zaster, her mit der Marie“, hieß es in niederösterreichischer Brachialrhetorik. Dass vor allem in den politischen Werkstätten am meisten „verzockt“ wurde, scheint schnell vergessen. Österreichische Politiker machen gemeinhin um Börse und Kapitalmarkt einen weiten Bogen.

Zumindest wenn es darum geht, diesen zu beleben. Wenn es hingegen eine Möglichkeit gibt, den Kapitalmarkt steuerlich anzuzapfen, ist Österreich an vorderster Front zu finden. So obliegt denn auch Österreich unter allen EU-Ländern die politische Koordination der Finanztransaktionssteuer. Finanzminister Hans Jörg Schelling wird Anfang November einen neuerlichen Anlauf für die Steuer auf Aktien und Derivate vornehmen. Er erhofft sich immerhin 250 Millionen Euro fürs Budget.

Gewiss haben die sogenannten Spekulanten das Ihre dazu beigetragen, dass es zu einer Finanzkrise gekommen ist, die dann eine Wirtschaftskrise nach sich zog. Es waren giftige Finanzprodukte aus den USA, die eine globale Katastrophe ausgelöst haben.

Der gleiche Kapitalmarkt, der einst so grässliche Blüten hervorgebracht hatte, war es aber auch, der die amerikanische Wirtschaft wieder in Schwung brachte. Nach zwei Jahren der Rezession kam Amerika schnell wieder aus den Startlöchern. Seit 2010 schafft das Land wieder Wachstumsraten über zwei Prozent. In der Eurozone tümpelt man unter einem Prozent herum. Das Wachstum in Österreich lag im vergangenen Jahr bei 0,3 Prozent, heuer sollen es 0,8 Prozent werden.


Bankensektor zu groß. Warum sich Länder wie die USA schneller aus einer Krise herauswurschteln und Europa am immer größer werdenden Schuldenberg verzweifelt? Der italienische Ökonom Marco Pagano hat jüngst dazu eine wissenschaftliche Arbeit verfasst und kam dabei zum Ergebnis: Es liegt an den zum Teil unterentwickelten Kapitalmärkten in Europa.

Auch Österreich ist wirtschaftspolitisch gesehen noch immer eine Kreditanstalt. Investitionen werden in der Regel von Banken durch Kredite geschultert. Kommt die Wirtschaft ins Trudeln, dann wackeln auch die Banken. Ein Teufelskreis beginnt. Und in dem stecken die europäische und somit auch die österreichische Wirtschaft fest. Das kostet Wachstum. Und am Ende auch Marktanteile und Arbeitsplätze.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2015)

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