Das Sparen in Zeiten der Cholera

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Die Sparer speichern ihre Überschüsse bei einer Bank, die zahlt Zinsen und nutzt die Einlagen für Kredite: Das ist die Idee. Aber seit sieben Jahren herrscht im Westen die Zinsdepression.

Zuerst kam die Finanzkrise. Dann die Schulden-, die Euro- und die Griechenland-Krise. Es folgte die Ukraine-Krise, die sich zur Russland-Krise auswuchs. Und die Syrien-Krise. Jetzt läuft die Flüchtlingskrise. Volkswagen steckt auch in der Krise. Die Medien sowieso. China? Krise. Die EU? Längst in der Dauerkrise.

Aus österreichischer Perspektive lässt es sich auch sehen: Wer hätte zur Jahrtausendwende gedacht, dass binnen 15 Jahren praktisch alle Lebensbereiche von Krisen erfasst würden – mit Ausnahme des Fußball-Nationalteams? Wohl niemand.

Sich ob dieser Krisenbeschallung verstärkt Sorgen um die Zukunft zu machen und sich zu fragen, wie die Welt der Kinder und Enkel aussehen wird, ist nur menschlich. Genauso wie es menschlich ist, in dieser Situation vorsichtig mit Geld umzugehen. Hat mit den verrückten Geschäften einiger Banken nicht alles angefangen? Steckt der Kern des Problems nicht irgendwo im Geld- und Finanzsystem?

Leider wissen wir bisher nur wenig. Wir wissen, dass die Ökonomen sich nicht einig sind. Weder bei der Anamnese der Finanzkrise noch bei der Diagnose – und folglich auch nicht bei der Therapie. Wir wissen auch, dass Regierungen und Zentralbanken – wenig überraschend – den Weg des geringsten Widerstands gegangen sind und seit sieben Jahren durch Hilfspakete, Notfallmaßnahmen und jede Menge billigen Geldes versuchen, Zeit zu kaufen.

Wir wissen, dass uns das Sorgen macht, dass wir etwas unternehmen sollten, dass wir vorsorgen wollen. Aber wir wissen nicht wie. Denn die Sparer sind der Krise ebenfalls zum Opfer gefallen. Und jetzt sind sie gefangen in einer Welt der Niedrig- und Negativzinsen. Eine Welt, aus der es scheinbar keinen Ausweg gibt.

Das Problem ist nicht neu. Tatsächlich sind die Zinsen schon seit Jahren niedriger als die Inflationsrate. Wer Geld auf einem Sparbuch bunkert, verliert also Kaufkraft und erreicht das Gegenteil von dem, was er eigentlich will. Aber erst jetzt, da die Zinsen nicht und nicht steigen wollen, ja, in manchen Ländern sogar in den negativen Bereich sinken, wird auch der großen Masse das Ausmaß der Zerstörung bewusst.

Mehr billiges Geld. Das ist keine Kleinigkeit. Denn der Mensch spart von Natur aus gern. Wer mehr einnimmt, als er ausgibt, der kann den Überschuss zurücklegen. Etwa auf der Bank, wo sie als Basis für neue Kredite dienen. Der Sparer erhält einen Zins, der Kreditnehmer zahlt Zins. Das ist der Wirtschaftskreislauf, wie wir ihn kennen. Aber das ist vorbei – zumindest solang die Zentralbanken die Zinsen unterhalb der Inflationsrate halten. Von einer Zinswende sind wir – zumindest in Europa – noch Jahre entfernt. Noch gehen wir in die entgegengesetzte Richtung. Das Gelddruckprogramm der Europäischen Zentralbank (Quantitative Easing) sorgt für noch billigeres Geld.

Das Ergebnis? „Quantitative Easing hilft den Schuldnern und schadet den Sparern“, sagt zum Beispiel ein gewisser Bill Gates im Interview mit Bloomberg. Gates ist nur einer von vielen, die das so sehen. Nun kann man das abtun: Was weiß ein Milliardär schon über die Probleme der kleinen Sparer?

Mehr, als man glauben sollte. Denn mit dem Vermögen steigen ja auch die Sorgen darum, wie man dieses Vermögen erhält. Bill Gates ist auch nur ein Mensch. Und Menschen streben in der Regel danach, ihre Lebensqualität zu verbessern. Das ist die Grundmotivation hinter dem Sparen. Auch Bill Gates weiß: Reich zu werden ist „nur“ der erste Schritt, reich zu bleiben die langfristige Herausforderung. Was macht Gates also? Worin ist sein Geld – und das Geld seiner Stiftung – investiert? „An den Märkten“, lautet die relativ unspektakuläre Antwort: „Wertpapiere, Aktien – natürlich auch Microsoft-Aktien.“ Gates ist zufrieden, er hat auch sicherlich die besten Berater.

Richtige Berater. Der kleine Sparer hat es freilich schwerer: Welche Aktien, Anleihen oder Fonds soll er kaufen? Was ist sicher, was riskant? Eine Antwort: Wertpapiere steigen, weil es das Ziel der Politik ist, dass sie steigen. Die niedrigen Zinsen sollen die Sparer dazu animieren, ihr Geld zu riskieren. So sehen das zumindest einige Ökonomen. Und bis jetzt funktioniert das auch ganz gut. Das Problem: Ohne richtige Berater kann man an den Börsen noch mehr verlieren als durch negative Zinsen.

Es gibt aber noch einen anderen Ausweg. Einen Weg, den die Reichen schon lang vorleben. Er führt zu den sogenannten Sachwerten. Die haben genau eines gemein: Sie befinden sich außerhalb des Finanzsystems. Immobilien, Gold, Silber, Platin, Diamanten, Kunst, Oldtimer, Weine, Fußballklubs oder ganze Inseln: Für die Reichen sind der Kreativität kaum Grenzen gesetzt, was die Preise in vielen Kategorien seit der Finanzkrise in die Höhe treibt. Die Flucht aus dem System ist im Gang.

Können die kleinen Sparer diesen Giganten folgen? Gibt es außerhalb des Finanz- und Geldsystems tatsächlich Rettung? Die Antwort ist nicht einfach. Was es aktuell nicht gibt, ist irgendeine Form von Garantie. Das Sparbuch, das fix vier Prozent Zinsen abwirft und dessen Einlagen im Fall der Fälle vom Staat garantiert werden: Es existiert einfach nicht.Was bleibt, ist ein gesteigertes Risiko, egal, ob man sein Geld an den Börsen oder in Sachwerte anlegt. Allein auf österreichischen Sparbüchern liegen derzeit mehr als 200 Mrd. Euro, die langsam dahinschmelzen. Jetzt, da die Krise nicht und nicht enden will und das Thema Negativzinsen in den Medien angekommen ist, kann man beobachten, dass die Sparer genauso reagieren wie Bill Gates und andere Superreiche: Sie flüchten.

Dem großen Stimmungsbarometer der Meinungsforscher von GfK zufolge halten immer noch 26 Prozent der Österreicher das Sparbuch für eine „attraktive Anlageform“. Das mag angesichts der Tatsache, dass das Sparbuch bei derzeitiger Verzinsung alles andere als eine „attraktive Anlageform“ ist, ziemlich verwundern. Aber 2009 lag der Prozentsatz der Sparbuchfans noch doppelt so hoch. Der Trend ist also klar. Das zeigt sich auch an der Sparquote, die seit 2009 von zwölf auf weniger als acht Prozent abgestürzt ist.

Ziele der Flucht. Wohin flüchten die Österreicher? Das Hauptziel: Immobilien, die inzwischen zum nationalen Hobby geworden sind. Genau ein Drittel der Österreicher hält Eigentumswohnung oder Haus für eine „interessante Geldanlage“. In Deutschland ist die Einschätzung noch deutlicher: Dort sind es 75 Prozent. Aber vielleicht haben die Deutschen schlicht Aufholbedarf.

Die schlechte Nachricht: Mit Ausnahme von Immobilien, Edelmetallen und den in Österreich notorisch unbeliebten Wertpapieren können die kleinen Sparer Giganten wie Bill Gates kaum folgen. Sie werden in den nächsten Jahren immer mehr Kreativität – und gute Beratung – brauchen, um die aktuelle Phase zu überstehen. Die gute Nachricht: Irgendwann wird auch die derzeitige Inflation an Krisen enden. Dann werden die Zinsen wieder steigen – und wer dann noch Geld hat, kann es endlich wieder getrost auf dem Sparbuch liegen lassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2015)

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