Steuersystem: Reparaturen unerwünscht

Eine kaputte Waschmaschine reparieren zu lassen ist schnell teurer, als eine neue zu kaufen.
Eine kaputte Waschmaschine reparieren zu lassen ist schnell teurer, als eine neue zu kaufen.(c) Clemens Fabry
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Kaum jemand lässt kaputte Gegenstände noch reparieren, beklagen Umweltschützer. Eine Entwicklung, die auch mit unserem Steuersystem zusammenhängt.

Große internationale Textilhandelsketten gelten gemeinhin als der Gottseibeiuns von Umweltschützern und anderen NGOs. Sie würden die Arbeitskraft der Näherinnen in den asiatischen Produktionsländern unfair ausbeuten und mit ihren niedrigen Preisen einen ressourcenverschleudernden sowie nicht nachhaltigen Lebensstil im Westen befeuern.

Ein Bild, das im Negativen überzeichnet ist und das Positive unter den Tisch fallen lässt. So gibt es zwar noch viel zu oft Fälle, in denen sich Zulieferer westlicher Ketten nicht an lokale Gesetze halten und Gehälter nicht bezahlen oder Sicherheitsnormen nicht einhalten. Grundsätzlich schafft aber gerade die Nachfrage aus dem Westen für die Menschen in China, Vietnam oder Bangladesch die Möglichkeit von – in Relation zur traditionellen Feldarbeit – besser bezahlten Jobs.

Ähnlich ambivalent sieht die Lage auf der anderen Seite der Produktionskette aus. Die günstigen Preise für Kleidung asiatischer Produktion machen diese Produkte inzwischen für jedermann leistbar. Ärmere Menschen in Europa müssen nicht mehr so angezogen sein, dass man ihnen diese Armut auch ansieht, wie es noch vor 30 Jahren üblich war. Gleichzeitig sorgt der Preisverfall aber auch dafür, dass Textilien und Schuhe inzwischen zu einem Wegwerfartikel geworden sind.


Kein Schuster. Fast jeder Zweite sortiert Schuhe oder Hosen bereits nach weniger als einem Jahr wieder aus, zitierte die Umweltschutzorganisation Greenpeace Anfang der Woche aus einer Umfrage unter mehr als 1000 Personen („Die Presse“ berichtete). Vielfach sei der Grund dafür, dass man den Gefallen daran verloren habe. Aber auch kaputte Sachen würden viel eher weggeworfen als repariert. So haben fast 40 Prozent noch nie kaputte Schuhe reparieren lassen. Sogar die Hälfte hat noch nie einen Schneider besucht – je jünger die Befragten waren, desto höher ihr Anteil. Und auch beim Rest ist das eher die Ausnahme als die Regel. Nur jeder Achte bringt seine Schuhe regelmäßig zum Schuster, statt sie in den Müll zu werfen.

Den Grund dafür ortet die Umweltschutzorganisation in den günstigen Preisen der großen Ketten. Allerdings wird dabei ein Faktor vergessen: So ist es nicht nur der absolute Preis, der das Reparieren für viele so unattraktiv macht – sondern vor allem der relative Preis von Dienstleistungen, weshalb Schuster- und Schneiderarbeiten sich auch bei höherpreisigen Kleidungsstücken immer seltener auszahlen. Und daran haben nicht die internationalen Ketten Schuld, sondern das Steuer- und Abgabensystem.

Dieses belastet die Nettoeinkommen ja nicht nur mit den Kosten von Pensions- oder Krankensystem und dem größten Einnahmenbringer des Staates: der Lohnsteuer. Sondern auch mit den Kosten von Familien- oder Wohnbauförderung. So kommt auf einen Euro Nettolohn schnell ein zweiter Euro an Abgaben – bei etwas über dem Durchschnitt liegenden Gehältern werden daraus bald 1,5 Euro.

Die Folge ist, dass inländische Arbeitskraft – etwa für Reparaturarbeiten – extrem verteuert wird, während importierte Neuprodukte aus Niedriglohnländern nur geringfügig zum Steueraufkommen beitragen. Keine guten Voraussetzungen, wenn das von der Politik oft formulierte Ziel eigentlich eine nachhaltige, regionale und ressourcenschonende Wirtschaft ist.

Wozu das dann führt, zeigt nicht nur das eingangs erwähnte Beispiel der Textilindustrie. Auch bei Waschmaschinen, Fernsehern oder Kühlschränken kostet der Besuch des Technikers im Schadensfall schnell die Hälfte und mehr eines neuen Gerätes. Wie groß dabei der Anteil der Abgaben ist, zeigt das Beispiel des noch am häufigsten reparierten Gegenstandes: des Autos. Eine Mechanikerstunde in einer Fachwerkstätte kostet meist zwischen 100 und 150 Euro. Laut Kollektivvertrag verdient ebendieser Mechaniker in der höchsten Lohngruppe rund 2840 Euro brutto im Monat. Er müsste also zehn bis 14 Stunden arbeiten, um sich eine einzige seiner Arbeitsstunden leisten zu können.

Natürlich sind darin auch die Kosten und der Gewinn der Werkstatt enthalten. Dennoch ist die hohe steuerliche Belastung der Arbeit nicht nur für den Industriestandort ein Problem, sondern auch im Dienstleistungsbereich, der vielfach mit günstigeren Neuprodukten konkurrieren muss.

Es wäre daher wohl an der Zeit, über einen grundlegenden Umbau des Steuersystems nachzudenken. Dieser muss ja nicht gleich so radikal ausfallen, wie das vom Gründer der Drogeriekette DM, Götz Werner, entwickelte Konzept. Werner schlägt vor, alle Steuern bis auf die Mehrwertsteuer abzuschaffen. Er begründet das damit, dass nicht der Leistungsbeitrag, sondern die Leistungsentnahme, also der Konsum, besteuert werden sollte. Ähnlich wie bei einem Bauern, der auch nicht die Knospe der Pflanze abschneidet, sondern erst die fertige Frucht.


Mehr Geld. Die Konsequenz dieses Systems wäre zwar, dass die Preise drastisch steigen würden. Werner geht angesichts einer Staatsquote von 50 Prozent von einem notwendigen Mehrwertsteuersatz von 100 Prozent aus (dieser könnte aber unterschiedlich gestaltet sein, Lebensmittel und Dienstleistungen also geringer besteuert werden). Die Menschen hätten jedoch auch viel mehr Geld in der Tasche, weil sie jenen Betrag aufs Konto überwiesen bekämen, den sie beim Arbeitgeber wirklich als Kosten verursachen. Um soziale Probleme zu vermeiden, könnte es auch ein Grundeinkommen für alle in Höhe des Existenzminimums geben (mit diesem wurde Werner oft zitiert, allerdings ohne den Rest des Konzepts).

Leiden würden darunter Billigimporte aus Asien. Diese würden sich relativ gesehen drastisch verteuern. Aus Sicht des regionalen Arbeitsmarktes und der Ressourcenschonung kein unerwünschter Effekt. So meint Werner: „Die Mehrwertsteuer ist die Steuer des Zeitalters der Globalisierung, der internationalen Arbeitsteilung, der Zukunft. Die Einkommensteuer ist die Steuer der Selbstversorgungswirtschaft, der Binnenwirtschaft, der Vergangenheit.“

Ob es sich dann auszahlt, das auf 18 Euro verteuerte Neun-Euro-T-Shirt reparieren zu lassen, wäre zwar nach wie vor fraglich. Einen höheren Anreiz zu mehr Nachhaltigkeit würde ein solches System aber sicher bringen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2015)

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