Tourismus: Die Neuerfindung des Winters

Tourismusforscher sehen die Gretchenfrage darin, ob es gelingt, den Wintersport von verschneiten Landschaften zu lösen.
Tourismusforscher sehen die Gretchenfrage darin, ob es gelingt, den Wintersport von verschneiten Landschaften zu lösen.(c) Imago/Action Pictures
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Der Klimawandel fordert Österreichs Wintersporttourismus. Experten sind sich uneins, ob seine radikale Neuausrichtung oder die Ausweitung des Alternativangebots Heilung bringt.

Grüne Hänge, durchzogen von vereinzelten künstlichen Schneestreifen. So präsentieren sich dieser Tage viele heimische Wintersportregionen, die dem um Neujahr erwarteten Schneefall entgegenfiebern. Setzt dieser ein, hat das Bangen der Branche vorerst ein Ende. Die Frage, wie es in den kommenden Jahrzehnten mit dem heimischen Wintersport weitergeht, ist dadurch aber nicht gelöst.

Angesichts der Verschiebung des ersten Schneefalls in spätere Monate und der zunehmenden Schneearmut müsse sich der Wintertourismus laut Tourismusforscher Peter Zellmann komplett neu erfinden. „Eine Jahrhundertaufgabe“, so der Leiter des Wiener Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung. Naiv und zu einfach wäre die Antwort vieler Regionen, die bei Schneemangel mit Alternativen wie Wandertagen oder Wellnessangeboten in die Berge locken. „Der eine oder andere kann damit toll überbrücken, aber man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass die Lösung für das Jahr 2050 gefunden ist.“

Lösung wäre „Scharlatanerie“

Diese hat auch Zellmann nicht: „Eine Lösung anzubieten wäre Scharlatanerie.“ Den Sommer mit ein bisschen wärmerer Kleidung in den Winter zu verschieben und den Dezember zum neuen Rad- und Wandermonat zu erklären sei aber jedenfalls keine tragfähige Alternative. Grundlegend Neues müsse her, das beginne bei den Wegen und Quartieren und ende bei einer neuen Sportart. Zurzeit, so meint auch der Tiroler Tourismusforscher Peter Haimayer, sei diese nicht in Sicht. Keine andere könne dem Skisport winters in puncto Gästezahlen und Umsätzen den Rang ablaufen. Davor bräuchte es erst ein generelles Umdenken: „Wie weit es gelingt, sich im Winter in den Alpen von verschneiten Landschaften zu lösen, ist die Gretchenfrage.“

Anders als Zellmann steht Haimayer den fließenden Übergängen zwischen Winter- und Sommertourismusindustrie zur Überbrückung des Schneemangels versöhnlich gegenüber. Die ihn umgebenden Tiroler Skigebiete würden sich seit einigen Jahren darum bemühen, die Sommer- und Herbstsaison auszubauen und sie weiter in den Winter hineinzuziehen. So habe man sich etwa bei der Nordkette, dem Haus- und Hofskigebiet der Innsbrucker, mit Events und vielfältigen Freizeitangeboten ein gutes Stück vom reinen Skitourismus gelöst.

Grundsätzlich ist er überzeugt: „Alle hoch gelegenen Gebiete mit einem guten Angebot werden auch in Zukunft überleben.“ Die anderen in den niedrigeren Problemlagen seien gefordert, sich etwas zu überlegen. Etwa die von Zellmann abgelehnten Alternativen aus den Bereichen Wellness, Wandern oder Kultur stärker zu bespielen – „eben das, womit man in der schneefreien Jahreszeit besonders erfolgreich ist“, so Haimayer.

Der Mythos vom österreichischen Volkssport Skifahren hat sich nach Meinung Zellmanns grundsätzlich überlebt. Die emotionale Entwicklung weg vom Winterskiurlaub lässt sich in Zahlen fassen: Standen Ende der 1980er-Jahre 47 Prozent der Österreicher nie auf Skibrettern, sind es heute bereits knapp zwei Drittel. Der Winterurlaub ist zu einem Minderheitenprogramm für weniger als 15 Prozent der Österreicher geschrumpft.

Standbein Skisport

Die ökologische Entwicklung käme dem Wandel im Lebensstil entgegen, eine Zurückdrängung des Volkssports in höhere Alpinlagen und ins Randsportdasein wäre somit „grob mehrheitsfähig“, so Tourismusforscher Zellmann. Er warnt, darüber den volkswirtschaftlichen Faktor des Wintertourismus, der sich großteils über das Skifahren definiert, außer Acht zu lassen: „Auf einem Bein im Sommer kann man in Österreich nicht stehen.“ Wenn nötig, müssten frische Köpfe eine radikal neue Alternative zum alten Zugpferd Skilauf auf die grüne Wiese stellen.

Haimayer sieht die Gefahr eines großen Umbruchs vorerst gebannt. Dafür stünden zu intensive wirtschaftliche Interessen, sei es von Seilbahnbetreibern, Outdoorausstattern oder der Hotellerie, hinter dem Sport. Das Einzugsgebiet würden Touristiker laut dem Tiroler Experten aber jedenfalls immer weiter ausdehnen müssen, um Betten und Pisten zu füllen. So ersetzt man die skimüden Einheimischen und Gäste aus Mitteleuropa zunehmend durch osteuropäische Wintersportler.

„Das funktioniert derzeit wegen der Krise in Russland nicht so gut, wird aber wieder.“ Selbst über eine Aufbereitung des chinesischen Markts werde gesprochen. Vor diesem Hintergrund ist Haimayer optimistisch: „Bis zum Aussterben des Skisports dauert es noch lange.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2015)

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