„Dann ist die Hälfte der Industrie verschwunden“

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Europas Stahlindustrie fordert Schutz vor Chinas Billigimporten. Die Branche büßt für ihre Versäumnisse – sie muss ihre eigenen Überkapazitäten abbauen. Europa braucht aber auch eine industriefreundliche Klimapolitik.

Noch rauchen sie, die 48 Hochöfen in Europa. Fragt sich, wie lange noch. Denn Europas Stahlindustrie steckt in einer schweren Krise – nicht erst jetzt, da massive Dumping-Exporte aus China den europäischen Markt zu überschwemmen drohen. Diese verschärfen die Situation nur. Chinas Stahlschwemme – Experten sprechen von 400 Millionen Tonnen an überflüssigem Stahl, den die Volksrepublik aufgrund der Wirtschaftsflaute nicht mehr benötigt – ist nämlich nur eines der Probleme, mit denen die europäischen Konzerne konfrontiert sind.

Die Branche hat über viele Jahre selbst enorme Überkapazitäten aufgebaut. Es gab zwar Übernahmen, und Betriebe wurden zusammengelegt – Kapazitäten wurden jedoch nicht verringert. Die Folge: Rund ein Viertel der Produktion, also rund 40 Millionen Tonnen, liegt auf Lager“, sagt Voestalpine-Sprecher Peter Felsbach.

Warum die Hausaufgaben nicht oder nur marginal gemacht worden sind, liegt auf der Hand: In Zeiten ohnedies schwacher Konjunktur kommt der Abbau von 90.000 Arbeitsplätzen – das wäre die Folge der Schließung eines Viertels der Stahlwerke – gar nicht gut. Weshalb vor allem Länder mit starken Gewerkschaften wie Italien und Frankreich bisher vor solchen Schritten zurückschreckten. Da werden marode Werke wie etwa Ilva in Süditalien lieber mit millionenschweren Subventionen am Leben erhalten.

Unrealistisches Klimaziel

Das dritte Problem, das den europäischen Stahlkochern schwer zu schaffen macht, ist die Klima- und Energiepolitik. Die EU will den CO2-Ausstoß bis 2030 um 40 Prozent senken – das ist ein Ziel, das nicht nur die Voest für undurchführbar hält. Konzernchef Wolfgang Eder, der auch Präsident des Weltstahlverbandes ist, prangert aber nicht nur die unrealistische und bisher nicht eindeutig ausformulierte Klimapolitik sowie die geplante Verschärfung des Zertifikatehandels an. Ihm geht es um das generell industriefeindliche Klima in Europa. All das verhindere große Investitionen und damit Technologieschübe.

„Noch überschwemmt uns China nur mit Massenstahl – aber die werden besser, und unser Vorsprung schmilzt“, betont Eder und malt ein wenig rosiges Szenario an die Wand. „Wenn die Politik nicht rasch Initiativen zur Sicherung der industriellen Zukunft setzt, ist in den nächsten 15 Jahren die Hälfte der europäischen Stahlindustrie verschwunden.“

Auch wenn die Voest dank ihrer Spezialisierung auf Hightech-Stähle und die Stahl-Weiterverarbeitung von den China-Importen nicht direkt betroffen ist, unterstützt Eder die Forderungen des europäischen Stahlverbands Eurofer. Bei der Großdemonstration in Brüssel gestern, Montag, marschierten 180 Voestler mit, darunter auch Herbert Eibensteiner, Vorstand der Stahldivision. Die insgesamt rund 5000 Demonstranten forderten vor allem mehr Schutz vor den Dumping-Importen aus China.

Am Freitag hatte die EU in einer ersten Reaktion auf die Proteste der Stahlkocher Anti-Dumping-Zölle auf bestimmte Stahlprodukte und drei neue Anti-Dumping-Untersuchungen angekündigt. Das sei zwar als Akutmaßnahme plausibel, aber „langfristig sind Zölle keine Lösung“, sagt Eder. Jetzt alles auf die Bedrohung aus China zu schieben wäre auch der falsche Weg.

Ganz kann sich die Voest von der Krise aber nicht abkoppeln. „Auch unsere Kunden sehen, wie die Preise auf dem Spotmarkt in den Keller rasseln und fordern von uns zumindest Nachlässe“, erklärt Felsbach. Im dritten Quartal verzeichnete die Voest einen Rückgang des Betriebsgewinns um 17 Prozent auf rund 152 Mio. Euro. Der Konzern verschärft sein Sparprogramm.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2016)

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