Wifo-Alarm: Statistik Austria blockiert Forschung

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Ein veraltetes Gesetz verbietet den Zugang zu wichtigen Mikrodaten. Ursprünglich ging es dem Gesetzgeber um den Datenschutz. Um ihn zu garantieren, gibt es aber längst praktikable Methoden.

Wien. Tausende Unternehmer, Behörden und Haushalte stöhnen lustlos, wenn sie Post von der Statistik Austria erhalten: Sie müssen wieder einmal Zahlen abliefern oder Fragen beantworten – über Krankenstände und Lohnniveau, über Konsumverhalten und Exportquoten. Was sie zum sorgfältigen Antworten motiviert, ist meist die Hoffnung, dass Wirtschafts- und Sozialforscher aus dem gesammelten Wissen gescheite Schlüsse ziehen und den Politikern die richtige Marschrichtung empfehlen. Dann hat sich der Aufwand gelohnt – und auch der hohe Einsatz von Steuergeldern.

Eine trügerische Hoffnung, erklärt nun die Wissenschaftlergemeinde selbst. Wifo und Universitäten schlagen Alarm: Ein überholter Paragraf im Bundesstatistikgesetz verbiete der ausgegliederten Behörde, den von ihr gehorteten Schatz an Forscher außerhalb ihres Hauses weiterzugeben.

Es geht um anonymisierte Mikrodaten, also nicht zurechenbare Beobachtungen einzelner Personen und Unternehmen. Solche Daten sind heute ein unverzichtbares Werkzeug in fast jedem Forschungsprojekt. Deshalb sind ähnliche Gesetzestexte in allen EU-Ländern im letzten Jahrzehnt entschärft oder zur Gänze gestrichen worden – nur nicht in Österreich.

„Alle schütteln den Kopf“

Ursprünglich ging es dem Gesetzgeber um den Datenschutz. Um ihn zu garantieren, gibt es aber längst praktikable Methoden. Datensätze der statistischen Ämter werden mit denen der Forscher so verknüpft, dass intime Geheimnisse von Firmen oder Personen gewahrt bleiben. Simpler und ebenso wirksam sind harte Strafen für den Missbrauch von Daten.

In Österreich jedoch müssen Unis und Institute wie Wifo, IHS und WIIW für jedes neue Forschungsprojekt beim staatlichen Statistikamt vorstellig werden, in zähen Verhandlungen um komplizierte Verträge kämpfen und endlich saftige Gebühren zahlen, um Mikrodaten nutzen zu können.

Wifo-Vizechef Franz Sinabell nennt Beispiele: „Für ein Uni-Projekt im Bereich Gesundheitsökonomie mussten 10.000 Euro gezahlt werden. In Deutschland hätten solche Daten 60 Euro gekostet.“ In einem anderen Fall musste ein Studienautor gar auf britische Daten zurückgreifen – keine ideale Basis für eine Arbeit, in der es um österreichische Verhältnisse geht.

So schwer sich Wirtschaftsforscher heute mit Prognosen tun, hier sind sie sich einig: Die Wettbewerbsfähigkeit ihrer heimischen Zunft steht auf dem Spiel. „Ausländische Kollegen schütteln nur mehr den Kopf“, erzählt Sinabell, „oft werden Österreicher zu internationalen Projekten gar nicht mehr eingeladen.“ Schlimmer noch: Auch die Empfehlungen an die Politiker drohen ihre Treffsicherheit einzubüßen.

Von Vorteil sei die Situation für die Statistik Austria selbst: Sie verfüge über eine profitable Einnahmequelle und tue sich leicht, eigene Statistiker in Projekten zu platzieren – sobald einer der Ihren als Koautor aufscheint, seien weit mehr Daten zugänglich.

Generaldirektorin Gabriela Petrovic hat entsprechend wenig Interesse an Änderungen: „Wir sind eben strenger als andere, das sind wir unseren Datenlieferanten schuldig.“ Ob Österreich dadurch einen Wettbewerbsnachteil habe, könne sie nicht beurteilen: „Das soll man mir erst beweisen.“ Im Übrigen könne man solche Themen immer besser im Einzelfall klären: „Beim Reden kommen die Leute zusammen.“

Das Hauptargument aus der Zahlenburg: In einem kleinen Land wie Österreich gibt es Branchen, die nur aus einem oder wenigen Anbietern bestehen. Hinter Zucker steht Agrana, hinter Mineralöl OMV – und damit sensible Firmendaten. Aber auch dieses Problem, sagen die revoltierenden Forscher, sei leicht zu lösen, sonst wären nicht kleine nordische Länder Vorreiter bei der Datenbereitstellung für die Wissenschaft. Seit März steht auch eine EU-Verordnung zum Thema bereit – es ginge nur darum, sie umzusetzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.